16 Tage nach der Zustimmung des Bundesrats zum Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) war es schon überholt. Um einen Kompromiss im Vermittlungsausschuss für das Gesetz zur Umsetzung des Klimaschutzprogramms 2030 im Steuerrecht zu ermöglichen, hatten Bund und Länder das Klimapaket der Bundesregierung noch einmal aufgeschnürt und sich auf eine höhere CO2-Bepreisung verständigt. Das Medienecho war enorm.
Ziele im KSG schon überholt
Kaum Widerhall fand hingegen die noch kürzere Halbwertszeit des Bundes-Klimaschutzgesetzes (KSG). Sechs Tage nach der Billigung des Bundesrats wurde der wichtigste Punkt des KSG auf EU-Ebene vom Green Deal „einkassiert“: Über eine Aktualisierung der EU-Klimaziele sollen die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 50 bis 55 % statt bisher 40 % gegenüber 1990 reduziert werden. Noch existiert dazu kein Aufteilungsplan. Es ist aber unausweichlich, dass Deutschland, der mit weitem Abstand größte Treibhausgasemittent in der EU, mehr als im KSG vorgesehen leisten muss.
Ohnehin wird das Pariser Übereinkommen vom Bundes-Klimaschutzgesetz noch nicht getragen. Die Verminderung der Treibhausgasemissionen um 55 % gegenüber 1990 wurde schon 2010 von der Bundesregierung beschlossen. Eine Orientierung was das Pariser Übereinkommen erfordert, gibt eine aktuelle Studie von Agora Verkehrswende. Darin berechnet die Denkfabrik, was die Bundesregierung zu tun hätte, wenn Deutschland seinen Beitrag zur Begrenzung der Erderwärmung um 1,5 K leisten will: Der inländische Treibhausgasausstoß bis 2030 müsste im Vergleich zu 1990 um 73 % sinken.
Vorerst steht aber das 55-%-Ziel im Bundes-Klimaschutzgesetz. Damit es kontrollierbar erreicht wird, definiert das Gesetz, wie viel CO2-Äquivalente jeder Sektor in jedem Jahr bis 2030 noch ausstoßen darf (Abb. 1). Der Sektor Gebäude muss seine direkten Treibhausgasemissionen danach jährlich um 4,8 Mio. tCO2 senken.
Addiert man die Werte aus (Abb. 1) für den Gebäudesektor, ergibt sich ein Gesamtbudget für die Jahre 2020 bis 2030. Wird genau eine Maßnahme pro Gebäude ausgeführt, müsste diese in 2020 jeweils eine Einsparung von knapp 22,4 % und in 2025 von 44,7 % erzielen, um das Gesamtbudget bis 2030 einzuhalten.
Minderung von 5,8 Mio. tCO2/a nötig
Das Minderungsziel von 4,8 Mio. tCO2 ist aber noch nicht die ganze Wahrheit, zusätzlich ist der Zugang für Neubauten zu kompensieren, er liegt grob abgeschätzt bei ca. 1 Mio. tCO2/a. Der Gebäudebestand muss seine direkten Treibhausgasemissionen also künftig pro Jahr um rund 5,8 Mio. tCO2 verringern.
Für die einzelnen Sektoren werden die Treibhausgasemissionen nach dem Quellenprinzip erfasst, das berücksichtigt im Gebäudebereich im Wesentlichen die Emissionen aus Verbrennungsprozessen. Den größten Anteil haben Erdgas und Heizöl, einen relativ kleinen Anteil Flüssiggas und Kohlen. Die Treibhausgasemissionen aus Fernwärme und für die Stromerzeugung zum Betrieb elektrischer Heizsysteme werden dem Energiesektor zugeschrieben.
In den letzten Jahren sind die direkten Treibhausgasemissionen im Gebäudebereich annähernd konstant geblieben und betragen rund 119 Mio. tCO/a. Davon entfielen 2014 85 Mio. tCO2 auf Haushalte (Wohnen) und 34 Mio. tCO2 auf den Bereich Gewerbe, Handel, Dienstleistungen (GHD). Bei einer gleichmäßigen Lastenaufteilung müssen in den Haushalten künftig 4,14 Mio. tCO2/a eingespart werden.
Einsparlast pro Kopf in Haushalten
Ende 2018 hatte Deutschland 83 Mio. Einwohner. Bei einer gleichmäßigen Aufteilung der 4,14 Mio. tCO2/a müsste jeder Einwohner jedes Jahr seinen CO2-Fußabdruck für Raumwärme und Trinkwassererwärmung um etwa 50 kg gegenüber dem Vorjahr verringern. Das entspricht verbrennungsbezogen einer Heizölmenge von 18,86 l. Auf den ersten Blick ist das ein kleiner Beitrag, da er aber jährlich um die gleiche Menge bis 2030 auf dann 188,6 l/a steigt, muss pro Einwohner von 2021 bis 2030 eine Heizölmenge von insgesamt 1037 l eingespart werden.
Die Treibhausgasemissionen der Haushalte von 85 Mio. tCO2 entsprechen 32,14 Mrd. l Heizöl, das sind pro Kopf 387 l/a bzw. eine Gesamtmenge ohne Einsparmaßnahmen von 2021 bis 2030 von 3870 l/Pers, aber nur ein Budget von 2833 l/Pers. Um die Pro-Kopf-Minderung von 1037 l bis 2030 zu erreichen, müsste bei der Umsetzung nur einer Einsparmaßnahme in 2020 eine Einsparung von rund 26,8 % realisiert werden. Wer keine Einsparungen erzielt, hätte sein persönliches Budget fast drei Jahre zu früh im Januar 2028 aufgebraucht. Wird nur 2025 eine Einsparung realisiert, muss sie 55,3 % für ein ausgeglichenes Budget betragen.
Der Pro-Kopf-Verbrauch von 387 l/a Heizöl ist ein statistischer Mittelwert, der aus den Treibhausgasemissionen zurückgerechnet ist. Er kann nicht in eine Energiemenge umgerechnet werden, weil der Wohnungsbestand nur zu 25,9 % mit Heizöl und zu 49,8 % mit emissionsärmerem Gas (Erdgas, Flüssiggas, Biogas), zu 13,9 % mit in der Sektorbetrachtung emissionsfreier Fernwärme und zu 4,7 % mit in der Sektorbetrachtung ebenfalls emissionsfreiem Strom beheizt wird. 6,1 % der Wohnungen werden mit festen Brennstoffen beheizt.
Die erforderlichen absoluten Einsparungen müssen somit von dem Bevölkerungsteil erbracht werden, der mit Heizöl und Gas beheizte Gebäude bewohnt. Die relative Einsparung von durchschnittlich 26,8 % gegenüber dem aktuellen Verbrauch verändert sich jedoch mit der realen Beheizungsstruktur für die Betroffenen nicht. Realistisch betrachtet kann aber nicht jedes direkt mit fossilen Brennstoffen beheizte Gebäude in den nächsten zehn Jahren einen Einsparbeitrag leisten, beispielsweise weil die Außenbauteile und die Anlagentechnik noch gar nicht modernisierungsbedürftig sind.
Es ist unschwer zu erkennen, dass in der nächsten Dekade sehr viele und sehr wirksame Einsparmaßnahmen ergriffen werden müssen, um das Minderungsziel für den Gebäudesektor im Bereich Haushalte insgesamt erreichen zu können.
Wie viele Heizungsmodernisierungen?
Die Bundesregierung geht davon aus, dass die schon vor dem Klimapaket etablierten Maßnahmen eine Reduktionswirkung von 2,8 Mio. tCO2/a haben. Angesichts der Entwicklung in den letzten Jahren ist diese Annahme sehr optimistisch, wird aber für die folgenden Betrachtungen übernommen. Da aus diesem Blickwinkel der Zubau schon berücksichtigt ist, verbleibt für den gesamten Gebäudesektor ein Einsparsoll von 2,0 Mio. tCO2/a. Gleichmäßig aufgeteilt auf Haushalte und GHD müssen in bestehenden Haushalten zusätzliche Einsparungen von 1,43 Mio. tCO2/a erschlossen werden.
Setzt man davon 0,7 Mio. tCO2/a für Heizungsmodernisierungen an und nimmt hier pro Wärmeerzeuger ein Heizölverbrauchsäquivalent von 3000 l/a (7,94 tCO2) an, müssten jährlich zusätzlich zum bisherigen Austauschgeschäft 88 200 Öl-Heizungen oder 117 000 Gasheizungen durch Wärmepumpen, Holz- bzw. Pellet-Heizungen oder Fernwärme ersetzt werden.
Bei einer sehr optimistischen Verbrauchsreduktion von 30 % ließe sich die Minderung auch mit einer Ausweitung des Austauschgeschäfts um 294 000 Öl- oder 390 000 Gas-Heizungserneuerungen ohne Energieträgerwechsel erreichen.
Wechselt man zusätzlich von Heizöl auf Erdgas, käme man mit rund 220 000 Erneuerungen aus. Jährlich. Und das zusätzlich zum bisherigen Modernisierungsgeschäft. Und das zehn Jahre nacheinander. 2018 wurden für Modernisierung und Neubau in Deutschland insgesamt 732 000 Wärmeerzeuger verkauft.
Die Fallzahlen zeigen, dass die Anzahl der Modernisierungen selbst mit optimistischen Annahmen nur dann im Bereich der vorhandenen Installationskapazität liegt, wenn sich die Nachfrage des zusätzlich angereizten Modernisierungsgeschäfts deutlich in Richtung erneuerbare Energien (Elektro-Wärmepumpen, Holz-Heizungen) entwickelt. Gelingt dieser Wandel auch im bisherigen Modernisierungsgeschäft, wäre sogar eine höhere als die angesetzte Emissionsminderung (0,7 Mio. tCO2/a) möglich. Die „schon vor dem Klimapaket etablierten Maßnahmen“ würden dann einen größeren Beitrag als dafür angenommen leisten.
Andersherum ist ersichtlich, dass es nicht ausreichend ist, überwiegend Heizungserneuerungen ohne Energieträgerwechsel bzw. mit einem Wechsel von Heizöl auf Erdgas durchzuführen. Die hohe Anzahl an Wärmeerzeugern, die bis 2030 länger als 20 Jahre in Betrieb sind, würde das zwar mengenmäßig ermöglichen. Eine weitere Reduktion der Treibhausgasemissionen müsste dann aber ab 2030 im großen Stil über Brennstoffe erfolgen, die aus erneuerbaren Energien erzeugt wurden. Da das zu diesem Zeitpunkt kaum realistisch ist, muss der Staat lenken, was er über das neue Marktanreizprogramm und andere Förderprogramme auch vorhat. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der wohl unausweichlichen Anhebung der Sektorenziele.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass sich in den nächsten Jahren die Wirkung energetischer Maßnahmen zunehmend überlappt. Wird beispielsweise 2025 eine Heizung erneuert, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass an dem Gebäude seit Anfang 2020 bereits energetische Maßnahmen durchgeführt worden sind. Die durchschnittliche absolute Einsparung bei einer Heizungsmodernisierung (bzw. das oben angenommene Heizölverbrauchsäquivalent) sinkt also mit den Jahren.
Gleichzeitig bewirken energetische Maßnahmen an der Gebäudehülle gar keine Treibhausgaseinsparung im Gebäudesektor, wenn das Gebäude bereits mit einer Elektro-Wärmepumpe oder einem Pellet-Heizkessel beheizt wird. Um in jedem Jahr den gleichen Minderungsbeitrag zu erschließen, muss die Fallzahl deshalb jährlich steigen.
Sparziel nicht erreicht: Sofortprogramm
Wie sich die Treibhausgasemissionen im Gebäudesektor in Kombination mit den neuen Maßnahmen des Klimapakets entwickeln, wird sich erstmals im Frühjahr 2021 zeigen. Das Umweltbundesamt erhält mit dem KSG den Auftrag, die genauen Emissionsdaten in den einzelnen Bereichen jährlich zu ermitteln. Veröffentlicht werden sie im März des Folgejahres. Ein unabhängiger Expertenrat begleitet die Erhebung.
Erfüllt ein Sektor seine gesetzlich vorgegebenen Ziele nicht, muss das zuständige Bundesministerium der Bundesregierung innerhalb von drei Monaten ein Sofortprogramm vorlegen. Bevor die Bundesregierung über die darin vorgeschlagenen Maßnahmen entscheidet, werden sie vom Expertenrat geprüft. Das Bundes-Klimaschutzgesetz schützt das Klima also eher indirekt, indem es vor der Untätigkeit der politisch Verantwortlichen schützt. Das bedeutet auch, dass sich die Branche darauf einstellen muss, dass Berlin künftig auf verfehlte oder angehobene Ziele sehr kurzfristig reagiert.
Das Gesetz steht zum Download bereit unter dem Link www.bit.ly/klimaschutzgesetz