Die Studie des Instituts Wohnen und Umwelt (IWU) hatte das Ziel, Praxiserfahrungen mit Wärmeversorgungssystemen für Niedrigenergiehäuser zu dokumentieren [1; 2]. Dazu wurden Betriebsergebnisse der Heizsysteme wie die Messdaten des Endenergieverbrauchs und der Energieerzeugung verschiedener Modellprojekte ausgewertet. Mit einem guten Wärmeschutzstandard der Gebäude wurde nicht immer gleichzeitig eine hohe Effizienz der Wärmeversorgung erreicht. Dies kann unterschiedliche Ursachen wie z. B. regelungstechnische Probleme haben. In einigen Fällen war es aber schon allein aufgrund der Systemkonfiguration nicht möglich, eine hohe primärenergetische Effizienz zu erreichen.
In der Studie wurde als Vergleichsmaßstab die primärenergetische Aufwandszahl einer Brennwertkesselheizung herangezogen. Es zeigte sich, dass z. B. der Einsatz eines Nahwärmenetzes mit Blockheizkraftwerk nicht automatisch die Gewähr für eine hohe Effizienz der Wärmeversorgung bietet: Es kommt darauf an, dass das BHKW nicht zu klein ausgelegt ist, d. h. auch wesentlich zur Wärmeproduktion beiträgt und diese nicht überwiegend durch einen ergänzenden Heizkessel erfolgt. Bei Gebäuden mit niedrigem Heizwärmeverbrauch können auch die Verteilungsverluste des Nahwärmenetzes einen großen Einfluss auf die Gesamteffizienz haben. In einem anderen Fall mit einer Abluftwärmepumpe wurde die günstige Energiebilanz durch zu hohe Beiträge einer elektrischen Zusatzheizung zunichte gemacht.
Solche Erfahrungen legen die Vermutung nahe, dass die Anlageneffizienz in der Praxis nicht immer rechtzeitig quantitativ betrachtet wird, obwohl das vor der Entscheidung für ein bestimmtes Wärmeversorgungssystem eigentlich selbstverständlich sein sollte. Deshalb wurde im Rahmen der IWU-Untersuchung ein einfaches Schema mit wenigen Eingabegrößen zur Abschätzung der Energiebilanz von Wärmeversorgungssystemen für Niedrigenergie-Gebäude und -Wohngebiete entwickelt. Dieses Schema soll hier vorgestellt werden.
Grundzüge des Energiebilanzschemas
Ziel war ein einfach handhabbares, übersichtliches Verfahren für die schnelle Erstellung der Energiebilanz von neuen Wärmeversorgungssystemen für Niedrigenergiehäuser. Es sollte komplexere Anlagenkonfigurationen, z. B. die Kombination verschiedener Wärmeerzeuger oder Nahwärmesysteme berücksichtigen, dabei aber auch für Anwender geeignet sein, die nicht auf die Wärmeversorgungstechnik spezialisiert sind.
Anhand des vorliegenden Berechnungsschemas kann die Anlagenbilanz mit einfachen Rechenschritten ohne Softwareunterstützung erstellt und übersichtlich auf einer Seite dokumentiert werden. Das Schema dient vor allem der Konzeptfindung und ersten Einschätzung des Versorgungssystems. Dabei soll es nicht die Aufgabe übernehmen, detailliertere Verfahren zu ersetzen. Es kann als Handrechenverfahren, vor Ort bei bestehenden Gebäuden oder am Schreibtisch zum Entwurf von Konzepten eingesetzt werden.
Ist der Nutzwärmebedarf gegeben, können mit dem Bilanzschema folgende Versorgungssysteme für Heizung und Warmwasser bewertet werden:
konventionell befeuerte Heizkessel (Öl, Gas)
Biomasse-Wärmeerzeuger (Holz-Pellets, -Hackschnitzel)
Elektro-Wärmepumpen (Wärmequellen Erdreich, Luft und Abluft)
Anlagen zur Kraft-Wärme-Kopplung (Öl, Gas, Biomasse)
Eine Kombination zweier Wärmeerzeuger (Grundlast/Spitzenlast) ist möglich. Weiterhin können die Auswirkungen der folgenden Techniken auf die Gesamtbilanz abgeschätzt werden:
Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung
thermische Solaranlagen zur Unterstützung der Wärmeerzeugung in Einzelgebäuden
Nah- und Fernwärmenetze
solare Nahwärme
Für die unterschiedlichen Kenngrößen der Teilsysteme werden jeweils Spannen und Anhaltswerte angegeben. Sie wurden in der IWU-Studie soweit möglich unter Berücksichtigung der ausgewerteten Modellprojekte sowie von Felduntersuchungen zu Heizkesseln und Wärmepumpen [4; 5] festgelegt, orientieren sich also an Werten, die in der Praxis erzielbar sind.
Mit den Anhaltswerten lässt sich die Systemeffizienz schnell abschätzen, die Spannen geben die Sensitivität der energetisch relevanten Einflussfaktoren wieder. Dabei ist zu beachten, dass es sich um ein sehr einfaches Verfahren zur groben Einschätzung der Wärmeversorgungseffizienz handelt. Auch die Spannen dienen nur der ersten Orientierung, in der Praxis können auch Werte außerhalb der angegebenen Intervalle auftreten. Die Anhaltswerte können einzeln oder insgesamt durch genauere Zahlen ersetzt werden, sobald solche vorliegen. Wenn z. B. später detailliertere Berechnungsverfahren angewendet werden, können die Ergebnisse ebenfalls in das Bilanzschema übernommen werden und die vorläufigen Schätzwerte ersetzen. Die Anhaltswerte können dann immer noch für einen Plausibilitätscheck nützlich sein. Je komplexer und möglicherweise genauer ein Berechnungsverfahren ist, desto eher kann auch Fehlerhaftes eingegeben werden. Wenn das detailliertere Verfahren deutlich von den Anhaltswerten abweicht, ist die Überprüfung der Eingabefelder wahrscheinlich sinnvoll.
Anwendungsbeispiel
Die Vorgehensweise bei der Anwendung des Bilanzschemas wird anhand des Beispiels einer Wärmeversorgung mit thermischer Brauchwasser-Solaranlage und bivalenter Wärmepumpenheizung (Wärmequelle: Außenluft, Spitzenlast-Wärmeerzeuger: Niedertemperaturkessel) erläutert (Abb. 1). Die Schritte dabei sind:
Jahresheizwärmebedarf eintragen (aus Vorberechnungen übernehmen oder abschätzen)
Anhaltswerte für die Kenngrößen des Wärmeversorgungssystems festlegen (dabei soweit möglich Informationen über den konkreten Anwendungsfall berücksichtigen)
Gesamtbilanz berechnen
Zu beachten ist, dass alle Angaben sich auf die tatsächliche beheizte Wohnfläche und nicht auf die Gebäudenutzfläche ANnach EnEV beziehen.
Im Beispiel soll es sich um die Modernisierung eines Mehrfamilienhauses handeln. Ein Bauherr wird bei der Modernisierung eines Mehrfamilienhauses von einem Energieberater unterstützt. Die Planungen haben erst begonnen und auch der Heizwärmebedarf steht noch nicht fest. Der Bauherr will einen sehr guten Wärmeschutz erreichen. Die Berechnung soll zunächst mit einem Heizwärmebedarf von 55 kWh/m²a durchgeführt werden. Später sollen gegebenenfalls weitere Varianten berechnet werden, bei denen dann der Wärmeschutz des Gebäudes oder die verwendete Anlagentechnik verändert wird.
Eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung ist nicht vorgesehen, daher sind Brutto-Heizwärmebedarf und Netto-Heizwärmebedarf im vorliegenden Beispiel gleich. Allerdings ist eine Abluftanlage geplant, die weiter unten beim Hilfsstrombedarf zu berücksichtigen ist. Über die Heizwärmeverteilung liegen noch keine Informationen vor. Da es sich aber um einen Altbau handelt, steht schon fest, dass die Wärmeerzeuger im Keller eingebaut werden. Das alte Verteilsystem unter der Kellerdecke wird voraussichtlich sorgfältig gedämmt werden, aber es ist nicht zu vermeiden, dass die horizontale Verteilung vorwiegend im unbeheizten Bereich verbleibt. Aus diesem Grund wird bei den Verteilverlusten der Heizung nicht der Anhaltswert von 10 kWh/m²a eingetragen, sondern ein Schätzwert von 15 kWh/m²a. Auch bei den Verteilungs- und Speicherverlusten der Warmwasserbereitung wird mit 13 kWh/m²a ein Wert aus dem oberen Bereich des angegebenen Intervalls anstelle des Anhaltswerts von 10 kWh/m²a verwendet, zumal es sich hier um ein System mit Warmwasserzirkulation handelt. Für den Nutzwärmebedarf der Warmwasserversorgung wird der Anhaltswert von 15 kWh/m²a eingesetzt.
Insgesamt addieren sich nun alle Energiebedarfswerte (Heizwärmebedarf, Warmwasserbedarf, Verteilungs- und Speicherverluste) zu einem Gesamtwärmebedarf des Gebäudes von q*=98 kWh/m²a.
Für die thermische Solaranlage gibt es eine separate Rechenhilfe (Abb. 2). Es wird davon ausgegangen, dass der vorgegebene Anhaltswert für den solaren Deckungsgrad an der Brauchwasserbereitung von 50 % erreicht wird. Der Beitrag der Solaranlage errechnet sich damit zu 14 kWh/m²a. Gemessen am Gesamtwärmebedarf des Gebäudes von fast 100 kWh/m²a entspricht dies einem solaren Deckungsgrad von knapp 14 %. Der Netto-Wärmebedarf des Gebäudes nach Abzug des solaren Beitrags beläuft sich auf qNetto= 84 kWh/m²a.
Da es sich hier um eine Einzelhausheizung handelt, bleiben die auf eine Nahwärmeversorgung bezogenen Felder (Verteilverluste des Nahwärmenetzes und Wärmelieferung einer zentralen Solaranlage) leer und der von den Wärmeerzeugern ohne Solaranlage insgesamt zu liefernde Energiebetrag qgbeträgt immer noch 84 kWh/m²a.
Zur Wärmeerzeugung werden eine Luftwärmepumpe und ein Spitzenkessel eingesetzt. Der Beitrag der Wärmepumpe an der Gesamt-Wärmeerzeugung qgkann mit der Berechnungshilfe (Abb. 3) abgeschätzt werden, sobald die Wärmepumpenleistung feststeht. Es können dann auch detailliertere Auslegungs- und Berechnungsverfahren zur Anwendung kommen. Insbesondere sei darauf hingewiesen, dass das hier gegebene einfache Schätzverfahren nicht dazu geeignet ist zu entscheiden, ob ein monovalenter Wärmepumpenbetrieb möglich ist. Die Wärmepumpenleistung steht noch nicht fest, daher wird als Deckungsgrad der in (Abb. 1Link) genannte Anhaltswert von 90 % aus dem Hauptschema angesetzt. Der Deckungsgrad des Spitzenkessels beträgt demzufolge 10 %. Als Aufwandszahl der Wärmeerzeugung wird für die Wärmepumpe der Anhaltswert von 0,37 festgelegt. Beim Kessel wird dagegen vorsichtiger abgeschätzt: Der Ansatz 1,15 soll berücksichtigen, dass angesichts des geringen Deckungsgrades eine sehr niedrige Kesselauslastung zu erwarten ist.
Die Endenergiebilanz der zur Wärmeerzeugung eingesetzten Energieträger steht damit fest: Die benötigte elektrische Energie beträgt 28 kWh/m²a, im Kessel werden 10 kWh/m²a Erdgas verbraucht. Zu berücksichtigen ist nun noch die elektrische Hilfsenergie. Hier orientiert man sich an den Anhaltswerten: Zum Basiswert von 2 kWh/m²a für Verteilung und Regelung sind 1 kWh/m²a für die Zirkulation zu addieren, 2 x 0,5 kWh/m²a kommen hinzu, weil weder für die Zirkulation noch für die Heizung eine Nachtabschaltung vorgesehen ist, die Abluftanlage und die thermische Solaranlage liefern weitere Beiträge von 1 kWh/m²a und 0,7 kWh/m²a. Insgesamt ergibt sich damit ein geschätzter Hilfsstrombedarf von 5,7 kWh/m²a.
Die Primärenergiefaktoren der Energieträger Strom und Gas sind weitgehend vorgegeben. Allerdings ist beim Strom zu entscheiden, ob man den Kennwert fP=3,0 nach DIN V 4701-10 bzw. EnEV verwendet oder den Wert fP=2,7 ansetzt. Diese Zahl entspricht auch dem Standardwert der neuen DIN V 18599 und berücksichtigt den primärenergieneutralen Beitrag erneuerbarer Energiequellen zum deutschen Strom-Mix . Da geplant ist, später eine Energiebilanzberechnung in Anlehnung an das EnEV-Verfahren durchzuführen, um Fördermittel in Anspruch nehmen zu können, wird entschieden, bereits jetzt bei der Grobanalyse den höheren Wert anzusetzen. Der Gesamt-Primärenergiebedarf des Gebäudes qPbeläuft sich somit auf 112 kWh/m²a, die Wärmepumpe trägt dazu mit 84 kWh/m²a, der Spitzenkessel mit 11 kWh/m²a und die Hilfsenergie mit 17 kWh/m²a bei.
Die Primärenergie-Aufwandszahl des Wärmeversorgungssystems (Gesamt-Primärenergiebedarf dividiert durch die Summe aus Heizwärme- und Warmwasserbedarf) ergibt einen Wert von eP= 1,59, d. h. aus 1,59 kWh Primärenergie wird 1 kWh Nutzwärme erzeugt. Der Bauherr hätte angesichts des Einsatzes einer Solaranlage und einer Wärmepumpe vom Gefühl her vielleicht einen besseren Wert erwartet und fragt, ob man dieselbe Anlageneffizienz nicht auch einfacher erreichen kann. Der Energieberater präsentiert daraufhin eine Standardlösung mit Brennwertkessel als mögliche Alternative. Es zeigt sich (Abb. 4), dass die Variante mit Brennwertkessel insgesamt schlechter abschneidet: Der Gesamt-Primärenergiebedarf qPbeträgt 125 kWh/m²a, die Primärenergie-Aufwandszahl ep1,79.
Nach diesen Vorüberlegungen stehen also mindestens zwei Wärmerversorgungsvarianten zur Debatte. Der Bauherr wird möglicherweise beschließen, vor einer endgültigen Entscheidung detailliertere Bilanzberechnungen durchführen zu lassen, um den Effizienzunterschied der beiden Systeme genauer zu quantifizieren.
Literatur:
[1] Diefenbach, N., Loga, T., Born, R.: Wärmeversorgung für Niedrigenergiehäuser - Erfahrungen und Perspektiven: Untersuchung im Auftrag des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung, Institut Wohnen und Umwelt, August 2005
[2] Diefenbach, N., Loga, T., Born, R.: Wärmeversorgung für Niedrigenergiehäuser - Berechnungsschema, im Auftrag des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung, Institut Wohnen und Umwelt, August 2005
[3] Wolff, D., Teuber, P., Budde, J., Jagnow, K.: Felduntersuchung: Betriebsverhalten von Heizungsanlagen mit Gas-Brennwertkesseln: gefördert durch die Deutsche Bundesstifung Umwelt (DBU); Abschlussbericht, FH Braunschweig Wolfenbüttel, Wolfenbüttel, April 2004
[4] Erb, M., Hubacher, P., Ehrbar, M.: Feldanalyse von Wärmepumpenanlagen FAWA 1996-2003: im Auftrag des Bundesamts für Energie BFE (Schweiz), Schlussbericht, April 2004
INFO
Praxisstudie
Im Auftrag des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung hat das Institut Wohnen und Umwelt eine Studie durchgeführt, in der Praxiserfahrungen mit Wärmeversorgungssystemen für Niedrigenergiehäuser ausgewertet wurden. Die ausführliche Studie und eine separate Fassung des darin enthaltenen Berechnungsschemas mit weiteren Berechnungshilfen, z. B. zur Bewertung von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, stehen kostenlos als pdf unter http://www.iwu.de zur Verfügung.
AUTOREN
Nikolaus Diefenbach, Tobias Loga und Rolf Born sind im Arbeitsbereich Energie des Instituts Wohnen und Umwelt (IWU) in Darmstadt tätig. Sie befassen sich mit Fragen der Energieeinsparung bei Gebäuden und Wärmeversorgungssystemen.
Nikolaus Diefenbach
Tobias Loga
Rolf Born