Nachverdichtung ohne Infrastruktur-Kollaps
So wie Austin entwickeln sich viele Städte im Süden der USA: Die Bevölkerung wächst rapide. Bezahlbarer Wohnraum ist entsprechend knapp, insbesondere für Singles, Familien oder Geringverdiener. Eine Möglichkeit, die Zahl günstiger Wohnungen zu erhöhen, ist die Nachverdichtung: die Errichtung von Häusern auf bereits bebauten Grundstücken. Solche „Accessory Dwelling Units“ sind allerdings auf die bereits vorhandene Infrastruktur angewiesen und stellen die ohnehin prekäre Strom- und Wasserversorgung vieler amerikanischer Städte auf eine Belastungsprobe.Studierende der TUM und der UTA entwickeln nun ein Haus, das kostengünstig ist und dabei zentrale Kriterien der Kreislaufwirtschaft („cradle-to-cradle“) erfüllt: Es deckt den Strom- und Wasserbedarf der Bewohner weitgehend selbst ab und besteht zum Großteil aus nachwachsenden beziehungsweise wiederverwendbaren Materialien.
„Nexus“: Verbindung von drinnen und draußen
Das „NexusHaus“ ist als eingeschossiger Pavillon konzipiert: Wohn- und Schlafbereich sind eigenständige Einheiten und modular nebeneinander angeordnet. Verbunden werden sie durch den „Nexus“ – ein zusätzlicher Raum, der je nach Bedarf als Wintergarten, überdachte Terrasse oder vergrößertes Wohnzimmer dient. Er sorgt zudem für angenehme Temperaturen: im Sommer als Teil des Lüftungssystems, im Winter als Puffer zwischen kalter Außen- und wärmerer Innenluft.Erneuerbarer Strom
Das Wort „Nexus“ im Konzept der Studierenden steht aber nicht nur für den Verbindungsraum zwischen Wohn- und Schlafmodul. Es bezeichnet auch die Einbindung von Energie- und Wasserversorgung in das Wohnumfeld: Über Photovoltaikmodule auf dem Flachdach gewinnt das „NexusHaus“ so viel Strom, wie seine Bewohner für Beleuchtung, Haushaltsgeräte und ein Elektrofahrzeug benötigen. Für die Klimatisierung wird ebenfalls Solarstrom verwendet. Damit wird in Kombination mit einer Wärmepumpe der Wasserkreislauf gekühlt oder erwärmt. Ein thermisches Speichersystem verschiebt die Kühlung aus den Spitzenzeiten in die Nachtstunden mit geringerem Bedarf.Aufbereitung von Regen- zu Trinkwasser
Auch den Wasserbedarf der Bewohner soll das „NexusHaus“ weitgehend selbst decken: Dafür wird Regenwasser in großen Speichertanks gesammelt und mithilfe eines Filtersystems auf Trinkwasserqualität aufbereitet. Die Studierenden untersuchen zudem neue Konzepte für „urban farming“, die Nahrungsmittelproduktion in der Stadt. Für die Bewässerung des Gartens wird das Wasser aus Waschmaschine, Waschbecken und Dusche genutzt. Zudem wird in einem Aquaponiksystem das Kondenswasser der Klimageräte aufbereitet: Das Wasser dient dabei zur Bewässerung von Nutzpflanzen. Speisefische liefern durch ihre Fäkalien die Nährstoffe für das angebaute Obst und Gemüse. Die Pflanzen filtern wiederum das Wasser und erhalten so den Lebensraum der Fische. Der Wasserbedarf aus dem öffentlichen Netz wird so deutlich reduziert. Damit werden die Bewohner unabhängiger von Preisschwankungen. Auch das Grundwasser wird geschont – ein wichtiger Aspekt in einer Klimaregion, in der seit fünf Jahren die schwerste Dürre der vergangenen Jahrzehnte herrscht.Baumaterialien: gesund und nachhaltig
Bei der Wahl der Materialien geht das Team aus München und Austin ebenfalls neue Wege: Es kommen größtenteils schadstofffreie Komponenten zum Einsatz, die vorwiegend aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen oder nach Möglichkeit sortenrein in ihre Einzelbausteine zerlegt werden können, um das Recycling zu erleichtern. Die Fassade besteht nahezu vollständig aus Holz, im Bad kommen cradle-to-cradle-zertifizierte Keramikfliesen zum Einsatz. Über QR-Codes, die außen am Gebäude angebracht werden, können die Besucher und Bewohner des „NexusHauses“ Informationen zur Herkunft und Wiederverwendbarkeit der verbauten Materialien abrufen.Wettbewerbsfinale mit Waschtag und Filmabend
Seit Anfang März führen die Nachwuchsarchitekten in Austin erste Bauarbeiten am „NexusHaus“ durch. Bis zum Sommer errichten sie die Wohn- und Schlafmodule und testen die Energie- und Wasserversorgung. Anschließend wird das Haus nach Irvine, Kalifornien, transportiert. Dort findet ab dem 8. Oktober 2015 das Solar Decathlon-Finale statt.Eine Jury bewertet unter anderem die Architektur, Marktattraktivität und Technik der Wettbewerbshäuser. Die Uni-Teams treten aber auch in ungewöhnlicheren Disziplinen an: Sie müssen innerhalb einer Woche beispielsweise acht Ladungen Wäsche waschen und trocknen, zwei Dinner-Partys und einen Filmabend für die Nachbarn organisieren. „Auch in einem energie- und materialsparenden Haus ist die Lebensqualität der Bewohner hoch“, sagt Prof. Werner Lang, von der Technischen Universität München. Das „NexusHaus“ ist dafür unter anderem mit moderner Haustechnik ausgestattet, die über ein von den Studierenden entwickeltes Home-Management-System gesteuert werden soll.
Dem Konzept kommt im Wettbewerb zudem seine Kosteneffizienz zugute: „Das ‚NexusHaus‘ soll nicht nur eine ausgeglichene ökologische Bilanz aufweisen, sondern auch einen positiven Beitrag zur Gemeinschaft vor Ort leisten“, sagt Prof. Petra Liedl, die das Uni-Team von Seiten der UT Austin unterstützt. „Wir können die Zahl der Wohnmodule beliebig erweitern oder verringern – und so Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund ein komfortables Wohnumfeld bieten.“ GLR