Die normative Berechnung von Gebäuden und Anlagentechnik ist für eine Abschätzung des Energiebedarfs und die Erfüllung gesetzlicher Anforderungen notwendig. Die Normen zur Bestimmung von Gebäudeeigenschaften – wie etwa dem Energiebedarf – werden immer komplexer, da sich die Gebäudetechnik in den letzten Jahren immens weiterentwickelt hat. Außerdem müssen immer neue Technologien und deren Wechselwirkungen untereinander und mit dem Gebäude immer genauer in Betracht gezogen werden. Mit zunehmender Rechnerleistung und damit abnehmenden Simulationszeiten ist auch in der Normierung ein Trend zu detaillierter Simulation gegenüber überschlägigen Monatsberechnungen zu beobachten.
So ist zur Berechnung des sommerlichen Wärmeschutzes nach DIN 4108-2 die dynamische Simulation nach VDI 6007 ausdrücklich erlaubt. Für die Berechnung der Kühllast nach VDI 2078 ist diese Simulation sogar das Standardverfahren. Für die Zukunft ist zu erwarten, dass immer mehr Normen die energetische Simulation zulassen oder sogar vorschreiben.
Selbst ohne eine Pflicht zur Simulation ist sie aber in vielen Fällen empfehlenswert. Denn eine zusätzliche Simulation des Gebäudes liefert detailliertere Ergebnisse – unter anderem den Energiebedarf für Heizung bzw. Kühlung – mit hoher zeitlicher Auflösung, z. B. stundenweise. Eine mit der Gebäudesimulation gekoppelte Anlagensimulation zeigt zusätzlich vielfältige Ergebnisse, z. B. die von der Anlage gelieferte Energie, die Temperaturen von Speichern oder die COPs von Wärmepumpen, außerdem auch die Auswirkung baulicher Veränderungen auf die Anlagentechnik. Mittlerweile bietet der Markt einige Simulationsprogramme.
Darstellung komplexer Wechselwirkungen
Besonders bei der Auslegung von Heiz- und Kühlsystemen werden bei den normativen Verfahren häufig Extrembedingungen angenommen, um eine mögliche Unterdimensionierung der Systeme zu vermeiden. Dadurch sind diese in der Praxis aber häufig überdimensioniert. Durch die Kopplung der Anlagensimulation mit der Gebäudesimulation können auch die Auswirkungen einer Unter- oder Überdimensionierung beobachtet werden.
Besonders interessant bei der Anlagensimulation ist die Möglichkeit, den Energiebedarf sowie die erzeugten Energiemengen einschließlich der sich ergebenden Verbräuche zeitlich aufgelöst zu simulieren und dadurch auch komplexe Wechselwirkungen darzustellen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Zusammenspiel von Wärmepumpen und PV-Anlagen. Durch die Anlagensimulation kann man genau sehen, welcher Teil des PV-Stroms für die Wärmepumpe verwendet wird.
Dadurch liefert die Simulation eine schnelle Antwort auf Was-wäre-wenn-Fragen des Kunden, da sowohl das Gebäude als auch die Anlagenkonfiguration in kürzester Zeit geändert werden kann. So kann etwa gezeigt werden, wie sich der Einbau einer Batterie für PV-Strom auf den Eigenverbrauch und die Wirtschaftlichkeit des Systems auswirkt, oder wie der Einbau von Markisen oder einer Lüftungsanlage die sommerlichen Temperaturen beeinflussen.
Simulationen werden typischerweise als sehr komplex und aufwendig angesehen. Das stimmt allerdings nur bedingt, da sehr viele der für eine Simulation notwendigen Eingaben auch für normative Berechnungen, z. B. für das Erstellen eines Energieausweises nach DIN V 18599 oder DIN 4108-6 und 4701-10/12, oder für eine Heizlastberechnung nach DIN 12831 erforderlich sind. Können die Angaben aus einem 3D-Gebäudemodell nahtlos übernommen werden, hält sich der Aufwand für die Eingaben sehr in Grenzen. Dies entspricht dem BIM-Gedanken, d. h. ein digitales Modell wird mit immer mehr Informationen angereichert, um eine Berechnung verschiedener Gewerke zu ermöglichen und Redundanzen bei der Eingabe weitgehend abzubauen. Die dadurch erzielte Durchgängigkeit ermöglicht den Nutzern eine hohe Effizienz während der Bearbeitung.
Detaillierte Wirtschaftlichkeitsberechnung möglich
Liegen stündliche Ergebnisse vor, eignen sie sich auch gut für Wirtschaftlichkeitsberechnungen. Mit stündlich aufgelöstem Strombedarf können z. B. zeitlich variierende Stromtarife berücksichtigt und der Eigenverbrauch einer PV-Anlage oder eines BHKWs detailliert betrachtet werden. Daraus lassen sich dann viele relevante Kennzahlen wie die Amortisationszeit, Annuitäten und Endwerte berechnen. So können verschiedene Konfigurationen der Anlage und des Gebäudes durchgespielt werden, um den Bedürfnissen des Kunden gerecht zu werden. Außerdem kann auch eine Risikoanalyse durchgeführt werden, für den Fall, dass sich angenommene Parameter wie z. B. Teuerungsraten oder Wartungskosten nicht wie erwartet verhalten.
Internationale Standorte
Ein weiterer Vorteil der Simulation gegenüber der statischen, normativen Berechnung ist, dass letztere typischerweise viele landesspezifische Annahmen beinhaltet, die ihre Verallgemeinerung stark einschränken. Daher können sie normalerweise nur in dem Land angewandt werden, das von der Norm vorgegeben ist. Die Simulation dagegen kann weltweit eingesetzt werden, weil sie auf physikalischen Gesetzen basiert. Dafür müssen nur die Klimadaten des jeweiligen Standorts verwendet werden.
Das bietet die ETU-Simulation
Hottgenroth-Software/ETU hat 2018 die ETU-Simulation herausgebracht, eine gekoppelte Anlagen- und Gebäudesimulation. Dabei werden die dynamischen Faktoren des Gebäudebetriebs wie Wetterbedingungen, Regelung, Raumnutzung und Bauteilspeicherung berücksichtigt. Auch interne Gewinne z. B. durch Personen, Beleuchtung und Geräte werden einbezogen. Typischerweise werden dazu Räume mit gleichen Nutzungsbedingungen und Heizgrenztemperaturen zu Zonen zusammengefasst, ähnlich wie bei der Berechnung nach DIN V 18599 für Nichtwohngebäude. Diesen Zonen werden Nutzungsprofile zugewiesen. In der ETU-Simulation kann dabei auf eine Vielzahl von Standardnutzungsprofilen zugegriffen werden. Es können aber auch eigene Profile angelegt und bearbeitet werden. Im Programm Energieberater 18599 eingegebene Profile können z. T. übernommen und nach Bedarf weiter spezifiziert werden.
Der so stundenweise berechnete Energiebedarf dient als Grundlage zur Auslegung der Anlagentechnik des Gebäudes. Dabei kann auf eine Vielzahl vorkonfigurierter Schemata zur hydraulischen Verschaltung der Anlagen sowie auf mathematische Modelle moderner Anlagentechnologien wie Absorptionskältemaschinen zur solaren Kühlung, aber auch auf Standardtechnologien zurückgegriffen werden. Ferner können PV-Anlagen sowie Batteriespeicher ausgelegt und berücksichtigt werden. Anschließend wird die Anlage zusammen mit dem Gebäude simuliert.
So kann mit der ETU-Simulation genau geprüft werden, wie sich Veränderungen der Anlagentechnik, der Gebäudehülle oder des Nutzerverhaltens gegenseitig beeinflussen. Auch die Lebenszykluskosten können mit der Software so ermittelt werden, mit einem grafischen Vergleich von Kapital- und Verbrauchskosten.
So funktioniert die Berechnung
Technisch erfolgt die Simulation des Gebäudes in der ETU-Simulation auf stündlicher Basis, da durch die Trägheit des Gebäudes Änderungen typischerweise sehr langsam ablaufen. Dafür wird die stundenweise Berechnung nach dem 2-K-Modell der VDI 6007 verwendet, bei der jeweils die Außen- und Innenwände der einzelnen Räume zusammengefasst werden. Damit wird dann auf Grundlage der Nutzungsprofile, der Außentemperaturen sowie der Sonnenstrahlung der Energiebedarf der einzelnen Räume berechnet. Da die Anlagen wesentlich schneller reagieren als das Gebäude, werden diese mindestens auf minütlicher Basis berechnet. Dabei liegt der vom Gebäude berechnete Bedarf der jeweiligen Stunde zu Grunde. Am Ende jeder simulierten Stunde wird dann die Reaktion des Gebäudes auf die von den Anlagen gelieferte Energie simuliert und der Energiebedarf für die nächste Stunde berechnet.
Wenn ein Projekt mit einem 3D-Gebäudemodell (HottCAD-Erfassung) erst einmal vorliegt, z. B. aus den Programmen Energieberater oder TGA, können die Angaben nahtlos übernommen werden. Es ist auch möglich, eine IFC-Datei in HottCAD einzulesen oder über eine Schnittstelle (Revit oder Allplan) das Gebäude zu importieren.
Hottgenroth Software bietet weltweite Klimadatensätze für die Verwendung in den Simulationsprogrammen an. So kann z. B. das Verhalten eines Gebäudes in Deutschland direkt mit dem gleichen Gebäude in einem anderen Land verglichen werden.
Dr. Iris Reichenbach
war mehrere Jahre als Physikerin am Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme in Dresden und an der TU Bergakademie Freiberg in der Forschung tätig. Seit 2015 arbeitet sie bei der Hottgenroth Software GmbH & Co. KG und ist dort für die Entwicklung der Simulationssoftware zuständig.