Um die wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Krise möglichst schnell zu überwinden und das Leben in Deutschland zukunftssicherer zu machen, haben Agora Energiewende und Agora Verkehrswende einen Vorschlag für ein umfangreiches Konjunkturprogramm vorgestellt: Mit insgesamt 100 Mrd. Euro soll der Bund demnach in den nächsten zwei Jahren Investitionen in mehr als einem Dutzend Bereichen anstoßen – von der Energiewirtschaft über den Verkehrssektor und die Bauwirtschaft in Deutschland bis hin zur Stahl- und Wasserstoffindustrie in der Europäischen Union.
Damit soll die Wirtschaft nicht nur gesunden, sondern zugleich auch so umgebaut werden, dass sie bis 2050 klimafreundlich werden kann. Der Entwurf des „Doppelten Booster“ genannten Vorschlags war in den vergangenen Wochen intensiv mit Vertretern aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik diskutiert worden. Mit 25 Mrd. Euro würde die Bauwirtschaft am meisten von dem Doppelten Booster profitieren.
Coronavirus- und Klimakrise nicht nacheinander lösbar
„Im Moment stehen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus im Fokus, aber die Klimakrise ist immer noch da: 2020 könnte wieder eines der trockensten Jahre in Deutschland werden und eines der heißesten weltweit. So eindringlich, wie die Wissenschaft vor den Folgen einer ungebremsten Pandemie warnt, so warnt sie auch vor den Folgen der globalen Klimakrise“, mahnen Dr. Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende und Christian Hochfeld, Direktor von Agora Verkehrswende.
„Wir haben weder die Zeit noch ausreichende Mittel, um die Coronavirus- und die Klimakrise nacheinander zu lösen. Ein Wachstums- und Investitionsprogramm, das die wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Pandemie überwindet, muss deshalb auch der Herausforderung der Klimaneutralität gerecht werden. Es soll erstens einen kräftigen Wachstumsschub auslösen und zweitens in eine zukunftsfeste Richtung zielen. Der Doppelte Booster zieht deshalb Investitionen auf heute vor, die bisher erst morgen anstanden.“
Programm umfasst 3 % des Bruttoinlandsprodukts
Mit 100 Mrd. Euro umfasst das Programm rund 3 % des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Es liegt damit in einer Größenordnung, die auch Wirtschaftsforschungsinstitute für geboten halten. Das Paket soll den Einbruch der Wirtschaftsleistung, der sowohl vom Bundeswirtschaftsministerium als auch dem Internationalen Währungsfonds für 2020 auf 6 bis 7 % geschätzt wird, möglichst schnell überwinden und einer noch längeren und tieferen Rezession vorbeugen. Graichen: „Dieses Geld soll es in jedem Sektor ermöglichen, dass Klimaschutzinvestitionen vorgezogen und zukunftsfähige industrielle Strukturen aufgebaut werden. Es ersetzt nicht die grundlegenden Gesetzesreformen im Energie- und Klimabereich, diese sind weiterhin auch unabhängig von Konjunkturprogrammen nötig.“
25 Mrd. Euro für die Bauwirtschaft
Mit 25 Mrd. Euro würde die Bauwirtschaft am meisten von dem Doppelten Booster profitieren. 10 Mrd. Euro sollen in den Aufbau einer Industrie für die serielle energetische Sanierung von Häusern fließen. Jeweils 5 Mrd. Euro sind für den Ausbau klimafreundlicher Fernwärmenetze und für die energetische Sanierung öffentlicher Gebäude sowie für ein Programm zum Austausch von 1 Mio. Öl- und Gas-Heizungen gegen elektrische Wärmepumpen vorgesehen.
22 Mrd. Euro für Senkung der EEG-Umlage
Die Kaufkraft der Bürger und Unternehmen soll um 22 Mrd. Euro gestärkt werden. Dies will das Konjunkturprogramm durch eine deutliche Absenkung der Strompreise erreichen. Dazu soll die Ökostromförderung zu einem Großteil aus dem Bundeshaushalt bezahlt werden, wodurch sich die EEG-Umlage um rund 75 % vermindern würde. Strom würde dadurch um rund 6 Ct/kWh günstiger werden.
15 Mrd. Euro für die Mobilitätswirtschaft
Ein Betrag von 15 Mrd. Euro ist für die Mobilitätswirtschaft vorgesehen. „Mit klugen Konjunkturimpulsen können wir auch den Strukturwandel in der Automobilindustrie und die Verkehrswende voranbringen“, sagt Hochfeld. „Ziel muss vor allem sein, die Elektrifizierung des Straßenverkehrs und die Modernisierung des öffentlichen Verkehrs zu beschleunigen. Gleichzeitig gilt es, Fehlanreize zu vermeiden, die den Umstieg auf alternative Antriebe und klimafreundliche Verkehrsträger weiter verschleppen.“
Dementsprechend schlagen die Autorinnen und Autoren des Papiers vor, den Umweltbonus für Elektroautos und Plug-in-Hybride um bis zu 2000 Euro anzuheben und auf elektrische Nutzfahrzeuge bis 7,5 t Gesamtgewicht auszuweiten. Parallel dazu wird die Ladeinfrastruktur für Elektroautos verbessert und ein Förderprogramm für Elektromobilität im ländlichen Raum eingerichtet. Zusätzliche Milliardenbeträge sollen für den Aufbau von Batteriezellfertigungen in Deutschland und für einen Innovationsfonds für Start-up-Unternehmen bereitgestellt werden.
Mit Blick auf Benzin- und Dieselfahrzeuge empfiehlt das Papier die Einführung eines Bonus-Malus-Systems, wobei der Bonus für besonders effiziente Modelle als Konjunkturimpuls vorgezogen wird. Auf drei Autobahnkorridoren sollen verschiedene alternative Antriebssysteme für Lastwagen eingesetzt werden.
Im öffentlichen Verkehr sollen Bund und Länder den Ausbau von Premiumbussystemen mit 500 Mio. Euro in bis zu zehn Städten fördern. In zehn Innovationsräumen soll die Verknüpfung des klassischen öffentlichen Personennahverkehrs mit modernen Mobilitätsdienstleitungen vorangetrieben werden. Hierfür ist bis zu 1 Mrd. Euro vorgesehen. Schließlich ist es Agora zufolge dringend erforderlich, zusätzliche Personalkapazitäten für die Planung und Genehmigung von Verkehrsinfrastrukturen einzurichten, damit öffentliche Investitionen in diesem Bereich möglichst rasch Früchte tragen.
15 Mrd. Euro für Industrieumbau
Ebenfalls 15 Mrd. Euro sollen in den klimafreundlichen Umbau der Chemie-, Stahl- und Grundstoffindustrie fließen. Hier sind Ausgaben in Höhe von jeweils 5 Mrd. Euro für die Anschubfinanzierung von Anlagen zur Wasserstoffherstellung sowie von klimafreundlichen Produktionsanlagen im Bereich der Stahl-, Zement- und Chemieindustrie vorgesehen. Ebenfalls 5 Mrd. Euro sind für Verbesserungen der Energieeffizienz von Produktionsprozessen vorgesehen. Zudem schlägt das Papier die Einführung eines Regulierungsrahmens für Industriestrom auf Basis von erneuerbaren Energien vor, der durch weitgehende Befreiung von Abgaben und Umlagen besonders günstig sein kann.
20 Mrd. Euro für europäische Projekte
Schließlich sollen 20 Mrd. Euro in europäische Projekte fließen. So sollen der Aufbau einer europäischen Wasserstoffindustrie, der Bau eines Drehkreuzes für Windkraft aus Offshore-Anlagen in der Nord- und Ostsee und die Errichtung von Solarprojekten in Spanien und Italien ebenso wie der Wiederaufbau einer europäischen Photovoltaikindustrie mit zusammen 10 Mrd. Euro gefördert werden. Weitere 10 Mrd. Euro sind für Projekte vorgesehen, die im gemeinsamen europäischen Interesse liegen – darunter ein europaweites Netzwerk von Schnellladesäulen für Elektroautos, eine grüne europäische Stahlindustrie und die energetische Sanierung öffentlicher Gebäude in großem Umfang.
Keine finanziellen Impulse für erneuerbare Stromerzeugung
Für den Ausbau von Anlagen zur Stromerzeugung mit erneuerbaren Energien in Deutschland sieht das Papier keine nennenswerten finanziellen Impulse vor. Die Finanzierung hierfür wird über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) bereits weitgehend abgedeckt. Stattdessen gehe es vielmehr darum, Hemmnisse rasch abzubauen, die die Energiewirtschaft aktuell lähmen:
So sollten dringend der 52-GW-Förderdeckel für Solaranlagen gestrichen werden und die Hürden für den Ausbau der Windenergie an Land beseitigt werden – stattdessen brauche es neue Flächenausweisungen und eine Beschleunigung der Genehmigungsprozesse. Zusätzlich sei es essenziell, den Ausbau der Solarenergie, sowie der Windenergie an Land und auf See zu beschleunigen, um das Klimaschutzziel Deutschlands zu erreichen.
Anmerkung: Hierzu gab zwischenzeitlich ein Signal der GroKo: 52-GW-Förderdeckel soll bald aufgehoben werden
Steuerfinanzierte Investitionen sind hingegen bei den Stromnetzen nötig – hier können Netzverstärkungen und intelligente Netzelemente früher erfolgen als bislang vorgesehen und teilweise direkt vom Bund finanziert werden. Hierfür sind in dem Vorschlag 3 Mrd. Euro vorgesehen.
Hochfeld und Graichen: „Das von uns skizzierte Konjunkturpaket ist ein doppelter Booster für die deutsche Industrie, weil es die Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Krise mit einem Modernisierungsschub verbindet. Für den Erfolg der Modernisierungsaufgabe kommt es auch darauf an, dass auf das Konjunkturprogramm eine am Green Deal der Europäischen Union orientierte Reformphase folgt. Diese ist nötig, damit der Weg des zukunftssicheren Umbaus der Volkswirtschaft weiter gegangen werden kann. Dies ist auch im Interesse der Wirtschaft, denn sonst drohen in wenigen Jahren die nächsten Wirtschaftskrisen durch den sich verschärfenden Klimawandel.“
Das 48-seitige Papier Der Doppelte Booster – Vorschlag für ein zielgerichtetes 100-Milliarden-Euro-Wachstums- und Investitionsprogramm steht auf den www.agora-energiewende.de und www.agora-verkehrswende.de als Download zur Verfügung und soll in der nächsten Zeit bei zahlreichen Gelegenheiten präsentiert und diskutiert werden. GLR