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Digitales Fachforum „Gebäudehülle im Fokus“

Klimaschutz und klare Worte

Die Gebäudehülle ist in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit wie der Politik alles andere als prominent. Auch um hier gegenzusteuern, gibt es das Digitale Fachforum „Gebäudehülle im Fokus“, eine Online-Veranstaltung des Gentner-Verlags, mit einer Mischung aus Fachvorträgen und Produktvorstellungen. Die 2024er-Ausgabe fand am 14. November statt, moderiert von Claudia Siegele, Redakteurin des Gebäude-Energieberater, Daniel Mund, Chefredakteur der GLASWELT sowie Kommunikationsexperte Martin Prösler, ein profunder Branchenkenner.

Extreme werden extremer

Den Anfang machte der ARD-Meteorologe Karsten Schwanke, und schon nach wenigen Minuten musste sich wohl mancher fragen, ob er in den vergangenen Jahren oder wenigstens Monaten nicht doch geschlafen oder zu viel auf die Ampel geschimpft hatte. Jedenfalls machte Schwanke seinem Publikum rasch klar, wo das echte Problem liegt: Der Klimawandel beschleunigt sich. Schwanke begann nicht mit den Überschwemmungen in Spanien, sondern im Schweizer Kanton Wallis. Dort stand Mitte Juli nach sintflutartigen Regenfällen eine Aluminiumfabrik unter Wasser, weil das Zulieferunternehmen der Autoindustrie versäumt hatte, wichtige Hochwasserschutzmaßnahmen durchzuführen. Woraufhin in Deutschland Porsche sein Jahresziel einkassieren musste.

Viel zu oft aber geht es jetzt um Menschenleben. Und das Risiko steigt, denn laut Schwanke fallen Dürren, Hitzewellen, Starkregen und Stürme intensiver aus und gefährlicher, es gebe „kein neues Normal“. Siehe den Osten Spaniens – am 29. Oktober sind an einer Messstation bei Valencia innerhalb von 14 Stunden 771,8 Millimeter auf den Quadratmeter gefallen. „Das ist etwa der Jahresniederschlag von Hamburg“, verdeutlichte der Meteorologe. Das Dürrejahr 2018, „Geburtsjahr von Fridays for Future“, sei von einer sechsmonatigen, stabilen Wetterlage geprägt gewesen. Er aber habe in seiner Ausbildung noch gelernt, dass nach spätestes sechs Wochen Schluss sei mit der Stabilität. Aber das war einmal, die Extreme werden extremer.

Es gelte jetzt, Städte und Gebäude klimaresilient zu machen. In Berlin hat man nach einem über 30 Grad heißen Sommertag nachts zwischen einem dicht bebauten Areal und einem Park einen Temperaturunterschied von zehn Grad festgestellt, die Messpunkte lagen keine 200 Meter voneinander entfernt. Bepflanzung und Bewässerung lauten die Aufgaben, die anstehen, die Gebäude benötigen Sonnen- und Hitzeschutz. „Das wird immer wichtiger, dass wir die Häuser kühl halten“, sagte Schwanke, denn in absehbarer Zeit dürften Höchsttemperaturen von 45 Grad und darüber in Deutschland keine Seltenheit mehr sein. Und Hitzewellen, weiß der Meteorologe, seien nicht weniger tödlich als Überschwemmungen, sie töteten allerdings leise.

Laut Hersteller Innoperform kann der Fensterfalzlüfter für kleines Geld den Luftwechsel zum Feuchteschutz liefern.

Bild: Gentner Verlag

Laut Hersteller Innoperform kann der Fensterfalzlüfter für kleines Geld den Luftwechsel zum Feuchteschutz liefern.

Lösungen für die Gebäudemodernisierung

Von Schwanke hinreichend beunruhigt, bekam man im Anschluss zwei Lösungen für die dringend notwendige Beschleunigung der Modernisierung unserer Gebäudehüllen präsentiert. Achim Kockler von Innoperform stellte den Fensterfalzlüfter Arimeo vor. Für den opfert man ein 20 Millimeter langes Stück der Dichtlippe und überlässt ihm das Abführen feuchtwarmer, verbrauchter Innenraumluft und den Austausch durch frische Außenluft. Er ist so konstruiert, dass er bei starkem Wind schließt und übermäßige Lüftungswärmeverluste verhindert. Der U-Wert des Fensters bleibe unverändert, erklärte Kockler, auch der Schallschutz werde nicht beeinträchtigt.

Karsten Ackermann vom Unternehmen Aluplast berichtete von einer Internetseite zur Konfiguration von Fenstern nach Kundenwunsch, der Neo-Plattform. Dort könne man aus Profiltypen, Oberflächen, Farben, Widerstandsklassen, Wunsch-U-Werte wählen und kombinieren. Darüber hinaus biete man mit dem Energeto ein Fenster ohne Stahlaussteifung, mit der sogenannten Powerdur-Technologie, womit nicht nur eine wärmetechnische Schwachstelle entfalle, sondern das betreffende Fenster dank des Verzichts auf den teuren und energieintensiv erzeugten Baustoff Stahl nachhaltiger in der Produktion sei.

Dass es aber nicht immer das neue Fenster sein muss, lernte man von Hermann Klos und Karsten Braun von der Holzmanufaktur Rottweil. Dort hat man sich dem Nachrüsten alter Holzfenster verschrieben. Womit in erster Linie die Rettung der alten Rahmenprofile gemeint ist, während die Verglasung meist ergänzt oder erneuert wird. Die Holzmanufaktur setzt dazu seit 2019 vermehrt Vakuumverglasungen ein, Zweischeibenverbünde mit dazwischenliegendem Vakuum, ab einer Dicke von gerade einmal 7,7 Millimetern, mit einem Ug-Wert von 0,4. Damit lassen sich sogar Fenster mit Einfachverglasungen, die eher schmale Profile haben, auf Uw-Werte von knapp über 1 bringen; Verbundfenster mit im Original zwei Scheiben erreichen mit neuen Vakuumverglasungen Werte von ­unter 0,8.

GLASWELT-Chefredakteur Daniel Mund (rechts) im Dialog mit Karsten Ackermann vom Fensterhersteller Aluplast

Bild: Gentner Verlag

GLASWELT-Chefredakteur Daniel Mund (rechts) im Dialog mit Karsten Ackermann vom Fensterhersteller Aluplast

Achtung, Klartext!

„Parental Advisory: Explicit Content“, diesen Warnhinweis schickte Kay Künzel vom Büro Raum für Architektur seinem Vortrag voraus, bereitete die Hörerschaft auf mehr als deutliche Worte vor. Künzel ist unter anderem Holzbauer und Passivhausplaner, vor allem aber ist er Macher, dem die Geduld mit unserer Bau- und der sonstigen Bürokratie überwiegend fehlt. Man litt mit ihm. Das erste Projekt, das er vorstellte, stand wie kaum ein anderes für Klimaschutz und Klimaanpassung, ein vom Ahrtal-Hochwasser 2021 arg ramponiertes Mehrfamilienhaus aus den 1960ern. Das Technische Hilfswerk hatte es nach der Flut abreißen wollen, Künzel fand die Substanz dagegen erhaltenswert. Ihn hatte die weitsichtige Konstruktion beeindruckt, das Fundament unter dem Erdgeschoss 1,60 Meter tief im Boden verankert, wohl der Grund, warum es noch stand. Die Außenhülle wurde mit einem Trägersystem versehen, das ausgeblasen wurde, ebenso das Dach, nur dass es hier 40 anstatt 30 Zentimeter wurden.

Ein weiteres Leuchtturmprojekt bildete ein ebenfalls energetisch saniertes Mehrfamilienhaus in Frankfurt, im Eigentum einer Stiftung, die gemäß Satzung der Nachhaltigkeit verpflichtet ist, zwar Gewinn erwirtschaften soll, aber langfristig, daher auch keine Amortisation in ein paar Jahren verlangt. Entnervend war die recht gemächliche Bürokratie vor Ort. 98 Wochen hat Künzel auf die Genehmigung warten müssen – „Das ist schon wirklich Körperverletzung.“

Das Gebäude wurde wie das im Ahrtal in bewohntem Zustand saniert, erhielt nach digitalem Aufmaß seriell gefertigte Fassadenelemente mit einer Dämmung, zusätzlich mit Erkern versehen, die die alten Balkone mit in die beheizte Hülle hereinnahmen. Es bekam dazu einen Aufzug, begrünte Dachgauben, Photovoltaik. Eine Gebäudeautomation steuert die Technik samt der Lüftung und der 3,26-Kilowatt-Wärmepumpe. Die versorgt jetzt das ganze Haus, während zuvor eine 120-Kilowatt-Gasheizung nötig war. Heraus kam dennoch keine Luxussanierung, sondern weiterhin bezahlbarer Wohnraum für Menschen mit geringem Einkommen.

Nachhaltig bauen mit ökologischen Baustoffen

Zum nachhaltigen Bauen und Umbauen gehört neben der Wiederverwertung des Vorhandenen genauso der Einsatz eines leicht verfügbaren Traditionsbaustoffs, dessen Gewinnung und Aufbereitung nur minimalen Energieeinsatz erfordern: Lehm. Andreas Tanner von Naturbo stellte die Lösung seines Unternehmens zum Heizen und Kühlen in der Fläche vor: die Therm, eine Lehmplatte mit Heiz-/Kühlschlangen, dies auch in einer Version zusätzlich mit einer Holzfaserdämmplatte gibt. Das Material Lehm stellte Tanner einerseits als guten Wärmespeicher vor, andererseits könne es im Kühlfall die Kondensation von Raumluftfeuchte an kalten Oberflächen vertragen, ohne Schaden zu nehmen.

Uwe Lutterbeck von Xella Multipor brachte dem Auditorium die Vorteile der Kalziumsilikatschaumplatten seines Unternehmens näher, die zur Innendämmung, aber auch zur Außendämmung verwendet werden können. Die Platten aus Kalk, Quarzsand und Zement seien mit einem my-Wert von 2 bis 3 sehr diffusionsoffen und daher gerade dort geeignet, wo eine Feuchtebelastung nicht ausgeschlossen werden könne. Dazu seien sie als Außendämmung gegen Spechtattacken gefeit, da sie zu massiv klängen, und überdies zur Sanierung salzbelasteter Wände geeignet.

Vakuumverglasung hat sich als ideales Produkt erwiesen, um historische Fenster energetisch aufzurüsten.

Bild: Gentner Verlag

Vakuumverglasung hat sich als ideales Produkt erwiesen, um historische Fenster energetisch aufzurüsten.

Altbauten revitalisieren und technisch abrüsten

Wenn es in Sachen Klimaschutz nicht vorangeht, liegt das aus Sicht von Tim Sassen von der Greyfield Group an der falschen Messgröße. Nicht nach den im Betrieb verbrauchten Kilowattstunden sollte man Immobilien bewerten, sondern über den gesamten Lebenszyklus hinweg nach der Menge der CO2-Emissionen insgesamt. Seien die Kilowattstunden im Betrieb der Maßstab, müsse man in hocheffiziente Neu-Immobilien investieren, die aber große Mengen an Treibhausgasemissionen verursacht hätten. Mit der Leitgröße CO2 dagegen würden diese grauen Emissionen automatisch in den Vordergrund rücken. „Deutschland ist fertig gebaut“, stellte er klar. Der Greyfield Group gehe es um Revitalisierung, nicht um Neubau, sie investiere bevorzugt in Gebäude am Ende ihrer Lebenszeit, saniere mal minimalinvasiv, mal intensiv, letzteres auch, wenn aufwändige Umnutzung vom Büro zum Wohngebäude anstehe.

Anders interpretierte Professorin Elisabeth Endres vom Ingenieurbüro Hausladen in München den Nachhaltigkeitsgedanken. Endres und ihre Kolleg:innen bauen neu, das aber zunehmend abgespeckt. Den Lowtech-Ansatz ihres Büros illustrierte sie anhand mehrerer Beispiele, unter anderem dem einer in Planung befindlichen Grundschule in Regensburg. Entgegen der landläufigen Ansicht, Schulen müssten mechanisch mit Frischluft versorgt werden, wählte man in diesem Fall nur für Küchen und Sanitärräume entsprechende Anlagen, und überließ die Verantwortung für den Luftwechsel den Lehrer:innen und Schüler:innen. Das funktioniert unter anderem auch deshalb, weil die Raumtiefen reduziert sind und stattdessen Balkone angebaut sind, um mehr konstruktiven Sonnen- und Hitzeschutz zu erhalten. Außerdem hat das Planungsteam dadurch 1,5 Millionen Euro gespart. Der Ansatz lässt sich Enders zufolge auch auf die Modernisierung übertragen: „Warum meinen wir immer, aus einem Golf einen Porsche machen zu müssen? Wenn wir vorher auch gerne Golf gefahren sind?“

Wo steht die Branche angesichts der Herausforderungen? Daniel Mund von der GLASWELT meinte in der Schlussrunde, dass zumindest die großen Hersteller die Themen Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft verstanden haben. Martin Prösler wies auf die Verantwortung des Bausektors als einer der Hauptverursacher der Klimakrise hin, weshalb er aber auch über Wirkmacht verfüge. Claudia Siegele vom Gebäude-Energieberater schließlich gab trotz unstrittiger Bedeutung der grauen Energie zu bedenken, dass ein effizienter Gebäudebestand nur mit erneuerbaren Energien versorgt werden könne. Einig war sich das Trio indes darin, dass die Branche die Kurve noch kriegen könne, die vielen guten Beispiele und gelungenen Projekte sprächen dafür.