Man stelle sich vor, Jens Spahn wolle der Corona-Pandemie begegnen, indem er sich dafür ausspricht, die einseitige Ausrichtung an der Impfquote müsse man aufgeben, um das Virus zu besiegen und allen Bürgerinnen und Bürgern ihre freiheitlichen Grundrechte zurückzugeben. So banal lässt sich übersetzen, was die Bauminister*innen der Länder und des Bundes auf der gerade zu Ende gegangenen 138. Bauministerkonferenz beschlossen haben. Nämlich die Abkehr von der Gebäudedämmung als primäres Mittel, vornehmlich im energetisch lausigen Bestand den Energieverbrauch und damit auch die Treibhausgasemissionen zu senken. Man müsse die Wärmewende nun mal sozial austariert umsetzen, hört man als Begründung für einen Beschluss, der von der Annahme ausgeht, die energetische Sanierung wäre einseitig an der Gebäudedämmung ausgerichtet. Applaus kommt – wen wundert´s – zuvorderst und wieder einmal am lautesten vom Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen GdW.
Verbände kritisieren einhellig den Beschluss der Bauministerkonferenz
Wäre dem so, dass wir hierzulande dämmen wie die Bekloppten, wie kann es dann sein, dass zum Beispiel der Bundesverband Wärmepumpe für seine Branche in 2020 erfreut ein Wachstum von 40 Prozent gegenüber 2019 verzeichnen konnte, wobei fast ein Viertel der installierten Wärmepumpen alte Ölheizungen ersetzt hat? Zweifellos wäre es fatal zu glauben, allein mit dem Dämmen von Fassade, Dach & Co. sei die Wärmewende im Gebäudebestand zu meistern – aber ohne dieselbe geht es nun mal erst recht nicht. Das ist Fakt, weshalb der Beschluss der Bauminister absolut realitätsfern ist, was auch der Bundesverband der energieeffizienten Gebäudehülle (BuVEG), das Deutsche Energieberaternetzwerk DEN, der Energieberaterverband GIH und natürlich die Verbände der Dämmstoffhersteller umgehend in einer gemeinsamen Erklärung kritisieren. Der Beschluss, so das Papier, „widerspricht sämtlichen Studien der Wissenschaft, wie der Gebäudebestand klimafit wird. Der breite Konsens ist, dass die Senkung des Energiebedarfs um ca. 40 Prozent die Voraussetzung ist, um kosteneffizient klimaneutral zu werden. Angesichts der verschärfenden Klimakrise ist zudem eine schnelle Umsetzung gefragt.“
Efficiency First – auch im Bausektor
Da erneuerbare Energien nur begrenzt verfügbar sind, was unter anderem Langfristszenarien des Bundeswirtschaftsministeriums zeigen, und die Nachfrage auch aus anderen Sektoren zunimmt, ist es naiv zu glauben, im klimaneutralen Zeitalter wäre Gebäudedämmung überflüssig. Ohne den Grundsatz „Efficiency First“ droht eher mehr Energiearmut als ohne, wie die steigenden Energiepreise aktuell sehr deutlich machen. Und die auch vom GdW so gepriesene Innovationsklausel im GEG, die bekanntlich „alternative Nachweis-Optionen“ eröffnet, betrifft vor allem urbane Räume, verliert aber die rund 20 Millionen Ein- und Zweifamilienhäuschen komplett aus dem Blick. Das bemängelt auch der BuVEG in seinem Positionspapier.
Abkehr von der Gebäudedämmung ist ein fatales Signal
Insgesamt besehen ist der Beschluss der Abkehr einer „einseitigen Ausrichtung an der Gebäudedämmung“ nicht nur ein fatales Signal für eine erfolgreiche Umsetzung der Wärmewende im Gebäudebestand, sondern ein Bärendienst für eine nachhaltige Bau- und Wohnungspolitik. Denn die Energiepreise – für fossile und regenerative Energieträger gleichermaßen – sind es schlussendlich, die den sozialen Ausgleich erschweren, nicht die Kosten für die Gebäudedämmung. Eine Binsenweisheit, die gegenüber der Politik und manchen Lobbyverbänden offensichtlich auf taube Ohren stößt. Und die Bauministerkonferenz bleibt der Erklärung schuldig, weshalb die Gebäudedämmung dem Ziel entgegensteht, Treibhausgasemissionen als zentrale Steuerungs- und Zielgröße zu etablieren. Es sind nicht die Herstellungsenergie der Bauprodukte und der Bauprozess an sich, die hinsichtlich Treibhausgasemissionen problematisch sind, sondern es ist im Bausektor die Heizenergie. Und um diese zu reduzieren, ist die Gebäudedämmung ein relevantes Zahnrad im Getriebe der Gebäudeeffizienz.
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