Sechs Jahre nach dem Pariser Übereinkommen sind für die Klimaziele keine deutschen, keine europäischen und auch international keine Maßstäbe festgeschrieben worden, um die Zielerreichung zu messen. Obwohl Vorschläge in Form eines CO2-Budgets dazu seit mindestens vierzehn Jahren vorliegen.
Es ist erschreckend: Wirtschaft und Politik wehren sich gegen den nach Ansicht der Autoren einzig sinnvollen Vorschlag der Wissenschaft, ein CO2-Budget (Budget an CO2-Aquivalenten CO2e) bzw. ein Treibhausgas-Budget als zukünftigen Maßstab einzuführen. Die Forderung lautet:
„Einführung eines weltweit noch verfügbaren Emissionsbudgets zum Einhalten der Klimaziele 1,5 bzw. 2 °C mit Bezug auf die Bevölkerungszahl der beteiligten Länder.“ Die wohl wichtigste Veröffentlichung zu diesem Thema „Emissionsbudget“ wurde von Stefan Rahmstorf verfasst: Darum schweigt die Bundesregierung zur wichtigsten Zahl beim Klimaschutz
Weiterhin erschreckend ist, dass sich in den bisher veröffentlichten Wahlprogrammen zur Bundestagswahl 2021 keine messbaren Zielzahlen zum Emissionsbudget finden, der Begriff überhaupt nicht einmal auftaucht. Selbst Bündnis90 / Die Grünen hatten in ihrem Wahlprogramm 2017 den Begriff Emissionsbudget noch verwendet – im aktuellen Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2021 ist er nicht mehr zu finden.
Zieht man das Emissionsbudget als Bewertungskriterium für aktuelle politische und internationale Strategieentscheidungen heran, ergeben sich interessante Ergebnisse.
Zwei Beispiele:
● Inbetriebnahme der Pipeline North Stream 2 mit einem Transportvolumen von mehr als 50 Mrd. m3/a Erdgas und Betrieb über die nächsten zwanzig Jahre
● Betreiben der alleine 2019 und 2020 in China neu installierten Kohlekraftwerksleistungen (57 GW) über ebenfalls 20 Betriebsjahre
Ergebnis:
● North Stream 2 mindert das Emissionsbudget um 2,4 Gt CO2e über 20 Betriebsjahre
● Die Bilanz für die neue Kohlekraftwerke in China ergibt zusätzlich 12 Gt CO2e über 20 Betriebsjahre
Pro-Kopf-Betrachtung
Die Beiträge allein dieser beiden „Projekte“ schöpfen knapp 5 % des weltweit noch verfügbaren Emissionsbudgets aus, wenn das 1.5-Grad-Ziel mit hoher Wahrscheinlichkeit (67 %) noch eingehalten werden soll (vgl. Info-Kasten).
Bezieht man die zusätzlichen Emissionen allein auf die genannten Länder, ergibt sich ohne CO2-Abscheidung für China mit 1,7 Mrd. Bewohnern eine zusätzliche Belastung von 7 tCO2e/Pers in 20 Jahren.
Für North Stream 2 ist die Einordnung schwieriger. Hier muss die Frage beantwortet werden, wer benötigt das zusätzliche Erdgas, das eigentlich in der Erde bleiben sollte? Bezieht man es alleine auf Deutschland ergäbe sich eine zusätzliche Belastung von 27,9 tCO2e/Pers in 20 Jahren. Es sei denn, an anderer Stelle fallen dafür Emissionen in mindestens gleicher Größenordnung weg.
Die Beispiele verdeutlichen, wie wichtig ein Bezug auf die Bevölkerungszahl ist. Nimmt man die vom Sachverständigenrat für Umweltfragen im Umweltgutachten 2020 genannten (siehe Info-Kasten) Zahlen, liegt das verbleibende Emissionsbudget für einen heute in Deutschland lebenden Mensch zwischen 50,6 und 80,7 t insgesamt. Allein Jahr 2020 betrug die Pro-Kopf-Emission 11,6 tCO2e/a, obwohl die Emissionen aufgrund der Coronavirus-Pandemie stark gesunken sind. Auf diesem Emissionsniveau wären die Budgets also schon in wenigen Jahren ausgeschöpft.
Allein diese zwei Beispiele zeigen, dass es mindestens auf deutscher und möglichst auch auf europäischer Ebene einer Übereinkunft bedarf, wie die Pariser Klimaziele zukünftig vermessen werden. Österreich als unser Nachbarland ist da schon weiter: Österreich darf nur noch 700 Mio. Tonnen CO2 verursachen
Energieberater: Fossile Energieträger schnellstmöglich ersetzen
Was bedeutet dies für Energieberater? Die Zielsetzung ist vorgegeben und wird allgemein akzeptiert: Zur Einhaltung der im Pariser Übereinkommen festgelegten Klimaziele und des daraus abgeleiteten noch verfügbaren Emissionsbudgets sind in Deutschland fossile Energieträger für die Gebäudeheizung und andere Wärmeanwendungen schnellstmöglich zu ersetzen.
Das gilt auch für Kraft-Wärme-Kopplung sowie für heute und mittelfristig weitgehend fossil versorgte Nah- und Fernwärmenetze. Langfristig steht nur noch Strom aus Photovoltaik und Windkraft auch für Deutschland in ausreichendem Maße zur Verfügung. Grüner Wasserstoff muss zukünftig weiter gefördert werden. Aber nicht für Gas-Heizungen und auch nicht für Nah- und Fernwärmesysteme.
CO2-Budget / Treibhausgas-Budget / Emissionsbudget
Seit rund 14 Jahren ist bekannt, dass zur Begrenzung der Klimaerwärmung ein dazu ausschöpfbares, weltweites Treibhausgas-Budget minimal klein geworden ist. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen schreibt im Umweltgutachten 2020 „Für eine entschlossene Umweltpolitik in Deutschland und Europa“:
„Damit der Temperaturanstieg (mit einer Wahrscheinlichkeit von 67 %) den Wert von 1,75 °C nicht übersteigt und damit deutlich unter 2 °C bleibt, dürfen weltweit ab dem Jahr 2018 nicht mehr als 800 Gigatonnen CO2 ausgestoßen werden […]. Legt man den deutschen Anteil an der Weltbevölkerung zugrunde und vernachlässigt die historischen Emissionen, beträgt das ab 2020 verbleibende CO2-Budget für Deutschland maximal 6,7 Gigatonnen CO2. Es bezieht sich auf eine maximale Erderwärmung von 1,75 °C mit einer 67%igen Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung. Das deutsche anteilige Budget mit einer 50%igen Wahrscheinlichkeit, die Erderwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen, beträgt 4,2 Gigatonnen CO2 ab 2020.“
Zur Einordnung: Im Zitat sind bei den CO2-Mengenangaben CO2-Aquivalente, also CO2e-Angaben gemeint. Der CO2e-Ausstoß Deutschlands lag bis 2019 je nach Berechnungsmethodik zwischen 0,8 und 0,9 Gigatonnen CO2e/a. 2020 wurde nach vorläufigen Berechnungen aufgrund der Coronavirus-Pandemie ein Wert von 0,739 Gigatonnen CO2e erreicht.
Bereits zum Thema erschienener Standpunkt der Autoren:
Wärmewende und Klimaneutralität: Was sich ändern muss