Eine Prüfung des Expertenrats für Klimafragen hat ergeben, dass das Umweltbundesamt bei der 4. KSG-Bilanz für das Jahr 2023 auch zu anderen Ergebnissen hätte kommen können.
Der Expertenrat für Klimafragen hat am 15. April 2024 seinen Prüfbericht zu den Emissionsdaten 2023 vorgelegt. In dem gemäß Bundes-Klimaschutzgesetz jährlich erstellten Bericht prüft und bewertet der Expertenrat die vom Umweltbundesamt übermittelte Berechnung der Emissionen des Vorjahres und betrachtet die Entwicklungen in ausgewählten Sektoren.
Zudem hat der Expertenrat eine Aktualisierung seiner Bewertung des Klimaschutzprogramms 2023 und der letztjährigen Sofortprogramme für die Sektoren Gebäude und Verkehr vorgenommen. Er berücksichtigt dabei mittlerweile ergangene politische Beschlüsse, inklusive des Haushaltsurteils des Bundesverfassungsgerichtes.
Erhebliche Unsicherheit bei den Emissionsdaten
Der Expertenrat konnte die Berechnung der Vorjahresemissionen grundsätzlich nachvollziehen. In Summe hat die Prüfung ergeben, dass das Umweltbundesamt bei der Berechnung der Emissionen des Jahres 2023 zu keinen anderen Ergebnissen hätte kommen müssen, aber können. So weist der Expertenrat erneut auf die erhebliche Unsicherheit der Emissionsdaten für die Sektoren hin, die sich aufgrund des frühen Berechnungszeitpunktes vor allem im Sektor Gebäude ergibt.
Trotz der Unsicherheiten bestätigt der Expertenrat den starken Rückgang der Emissionen im Jahr 2023 gegenüber dem Vorjahr um rund 10 % von 750 auf 674 Mio. t CO2-Äquivalent (CO2e). Dies ist der höchste prozentuale Rückgang binnen eines Jahres seit 1990. Das implizite Ziel für die Gesamtemissionen wurde damit erreicht. Insbesondere die Sektoren Energiewirtschaft (− 20 %), Industrie (− 8 %) und Gebäude (− 8 %) verzeichneten hohe Emissionsminderungen. Der Verkehrssektor (− 1 %) verfehlte sein Ziel hingegen deutlich um 12,8 Mio. t CO2e.
„Die erneute Verfehlung des Jahresziels ist im Ergebnis unserer Prüfung beim Verkehr eindeutig“, stellt der Vorsitzende des Expertenrates, Hans-Martin Henning, fest. „Beim Gebäudesektor können wir die knappe Überschreitung des Jahresziels angesichts der großen Unsicherheit der berechneten Daten dagegen weder bestätigen noch verwerfen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes besteht allerdings für beide Sektoren die Notwendigkeit eines Sofortprogramms.“
Emissionsminderung teilweise nicht nachhaltig
Mit rund 52 Mio. t CO2e hat die Energiewirtschaft den stärksten Beitrag zum Emissionsrückgang von 2022 auf 2023 geleistet. Dies lag vor allem an einer stark gesunkenen Verstromung von Kohle. Ein wichtiger Grund hierfür war die schwächere Stromnachfrage der energieintensiven Industrie.
Der Emissionsrückgang in der Industrie um 13 Mio. t CO2e. ist wie im Vorjahr vor allem auf den starken Produktionsrückgang in der energieintensiven Industrie zurückzuführen. Dies und die generell schwache Wirtschaftsleistung trugen auch zum Rückgang der Emissionen im Straßengüterverkehr bei, während die Emissionen durch den Pkw-Verkehr zunahmen. Den größten Einfluss auf den Emissionsrückgang im Gebäudesektor um 8 Mio. t CO2e dürften die schon im Vorjahr beobachteten Gaseinsparungen durch geändertes Heizverhalten gehabt haben. Zudem trugen Veränderungen in der Beheizungsstruktur und die anhaltend milde Witterung zu der Minderung bei.
Zum substanziellen Rückgang der Gesamtemissionen merkt Henning an: „Ohne den Rückgang der energieintensiven Industrie und die erneut milde Witterung im Jahr 2023 hätten die Emissionen deutlich höher gelegen. Damit wäre das implizite Jahresziel für alle Sektoren in Summe vermutlich nicht erreicht worden. Der Rückgang des Heizbedarfs kann sich allerdings aufgrund steigender Temperaturen tendenziell verstetigen.“
Klimaschutzprogramm und Sofortprogramme 2023
Seit dem Beschluss des Klimaschutzprogramms im Sommer 2023 sind politische Änderungen mit Auswirkungen auf die Umsetzung des Programms erfolgt. Dazu gehören vor allem die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Haushalt eingetretenen Kürzungen beim Klima- und Transformationsfonds (KTF). Diese übersetzen sich in Programmkürzungen 2024 und in ein Abschmelzen der Rücklage als Finanzierungsgrundlage für die kommenden Jahre.
„Das KTF-Urteil resultiert in Mittelkürzungen in diesem Jahr und engt den Spielraum für die folgenden Jahre ein. Da fast die Hälfte der Maßnahmen des Klimaschutzprogramms fiskalischer Natur sind, verringert dies die Wahrscheinlichkeit, dass die angenommene Minderungswirkung tatsächlich eintritt“, ordnet Brigitte Knopf, stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats für Klimafragen, die Entwicklungen ein.
Neben den Auswirkungen der finanziellen Kürzungen im KTF auf das Klimaschutzprogramm insgesamt identifiziert der Expertenrat weitere Umsetzungsdefizite bei den darin enthaltenen Sofortprogrammen Gebäude und Verkehr. Im Gebäudesektor verstärkt die weniger ambitionierte Umsetzung des Klimaschutzprogramms die Zweifel an der Erreichbarkeit der angestrebten Minderungswirkung. Auch im Verkehrssektor ist bei einigen Maßnahmen eine verminderte Wirkung zu erwarten, zudem ist eine Zunahme des Pkw-Verkehrs zu beobachten. Hierzu stellt Knopf fest: „Die erneute Betrachtung hat noch einmal bekräftigt, was wir bereits im letzten Sommer gesagt haben: Die im Klimaschutzprogramm beschlossenen Maßnahmen für Gebäude und Verkehr reichen nicht aus, um die sektoralen Ziele zu erreichen. Vor allem im Verkehrssektor verbleibt eine erhebliche Erfüllungslücke bis 2030.”
Der Prüfbericht und das Technische Begleitdokument des Expertenrats für Klimafragen stehen öffentlich zur Verfügung.
Der Expertenrat für Klimafragen (ERK)…
… ist ein unabhängiges Gremium von fünf sachverständigen Personen verschiedener Disziplinen. Er wurde im September 2020 berufen und ist beauftragt durch § 11 und § 12 Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG). Das Gremium besteht aus den fünf Mitgliedern Prof. Dr. Hans-Martin Henning (Vorsitzender), Dr. Brigitte Knopf (stellvertretende Vorsitzende), Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge, Prof. Dr. Thomas Heimer und Dr. Barbara Schlomann. Neben anderen gesetzlich festgelegten Aufgaben prüft der Expertenrat für Klimafragen gemäß § 12 Abs. 1 KSG die Emissionsdaten des Umweltbundesamts und legt der Bundesregierung und dem Deutschen Bundestag innerhalb von einem Monat eine Bewertung der veröffentlichten Daten vor. Weitere Informationen unter. ■
Quelle: Expertenrat für Klimafragen / jv