Insgesamt sanierte die Wohnbau Gießen drei Gebäude aus den 1950er Jahren, um den Energiebedarf stark zu reduzieren und gleichzeitig den Wohnkomfort spürbar zu erhöhen. Bei einem Gebäude mit zwölf Wohneinheiten untersuchte das Passivhaus Institut mit intensiven Messungen unter anderem, wie erfolgreich die Modernisierung war. Auch Ursachen für eventuelle Abweichungen zwischen vorherigen Berechnungen zum Energiebedarf und später gemessenen Verbrauchswerten sollten analysiert werden. Zudem führte das Forschungsinstitut dynamische Simulationen durch, um die jeweiligen Einflüsse von Gebäudehülle, Haustechnik und Nutzung auf den Heizenergieverbrauch genauer trennen zu können.
Mit PHPP präzise berechnet
Bei dieser Sanierung mit Passivhaus-Komponenten sorgte die Gießener Wohnbaugesellschaft für eine grundlegende energetische Verbesserung der drei Gebäude vom Keller bis zum Dach: Die Häuser erhielten eine hochwertige Wärmedämmung der Außenwände, ein hoch wärmegedämmtes Flachdach mit einer großen Photovoltaik-Anlage sowie Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung in jeder Wohnung. Die neuen Fenster sind nun dreifach verglast und auch Haus- und Kellertüren energetisch hochwertig. Die Kellerdecke wurde ebenfalls gedämmt. Neue, vorgestellte Balkone reduzierten die Wärmebrücken und vergrößerten die Wohnfläche. Bestehen blieb die Wärmeversorgung über den vorhandenen Fernwärmeanschluss. „Die energetische Sanierung war insgesamt ein voller Erfolg. Das zeigen unsere Forschungsergebnisse eindeutig. Das Bilanzierungstool PHPP (Anm.: Passivhaus-Projektierungspaket) hatte bereits vorher Einsparungen in der später gemessenen Größenordnung berechnet. Voraussetzung für so eine erfolgreiche Sanierung sind gute und hoch energieeffiziente Komponenten“, erläutert Søren Peper vom Passivhaus Institut.
Von 120 auf 33 auf 21
Vor der Sanierung lag der Heizwärmeverbrauch im untersuchten Mehrfamilienhaus bei 119,5 kWh/(m²a). Er sank bereits im ersten Jahr nach der energetischen Verbesserung des Gebäudes auf 33,3 kWh/(m²a). Die Mietparteien sparten da schon durchschnittlich 72 Prozent an Heizwärme ein. Die umfangreichen Messungen des Passivhaus Instituts zeigen, dass im dritten Jahr nach der Sanierung mit 21,3 kWh/(m²a) sogar 82 Prozent weniger an Heizwärme verbraucht wurden. Dabei lagen die winterlichen Raumlufttemperaturen mit 22,1 und 21,7 Grad Celsius vergleichsweise hoch.
Peper erklärt, mit Hilfe des Bilanzierungstools PHPP könnten neben den präzisen Berechnungen zum späteren Energiebedarf auch Abweichungen vom planmäßigen Betrieb nachgewiesen werden. Dafür müssten die PHPP-Berechnungen mit den später während der Messung gegebenen Randbedingungen wie internen Wärmegewinnen und passenden Klimadaten durchgeführt werden. Kleinere Abweichungen habe es auch beim Gießener Mehrfamilienhaus gegeben, allerdings in so geringem Umfang, dass das Gebäude nach der Sanierung insgesamt sehr gut funktioniert habe.
Dreimal hingeschaut
Bei den dynamischen Simulationen zum genauen Einfluss von Gebäudehülle, Haustechnik sowie den nutzenden Personen auf den Heizenergieverbrauch hebt das Passivhaus Institut hervor: Für die Gebäudehülle ist ein guter Wärmeschutz grundlegend, der neben einer Dämmung von Außenwänden, Dach und Kellerdecke auch eine Reduzierung der Wärmebrücken beinhaltet. Die Haustechnik leistet ebenfalls einen großen Beitrag zur Effizienz des gesamten Gebäudes, vor allem die Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung. Lüftungsgeräte, die als Passivhaus-Komponente zertifiziert sind, müssen zudem einen geringen Strombedarf aufweisen und hohe Anforderungen an den Schallschutz erfüllen. Als wichtig erwies sich darüber hinaus, die im Gebäude liegenden Wärmeverteilleitungen sehr gut zu dämmen.
Einfluss der Nutzerinnen und Nutzer
Auch der Einfluss der nutzenden Personen auf den Energiebedarf ist bedeutend. Entscheiden sich diese für eine höhere Raumtemperatur von zum Beispiel zwei Grad mehr als die mittlere, gemessene Raumtemperatur von 22,1 Grad, dann steigt der Heizwärmebedarf sichtbar an. Jürgen Schnieders vom Passivhaus Institut, der ebenfalls an dem Projekt beteiligt war, stellt jedoch klar: „Es gibt zwar einen nachweisbaren Einfluss der Höhe der Raumtemperatur auf den Heizwärmeverbrauch, doch am positiven Effekt der Sanierung ändert das im Kern nichts. Im ursprünglichen, unsanierten Zustand wäre der Mehrverbrauch durch höhere Raumtemperaturen viel größer.“
Vorteil im Sommer
Auch im Sommer sind hoch energieeffiziente Gebäude im Vorteil: Der gute Wärmeschutz hält die Hitze draußen. Darüber hinaus beeinflussen Nutzerinnen und Nutzer den Sommerkomfort in ihrer Wohnung. Wird zum Beispiel bei Hitze die außenliegende Verschattung für die Fenster genutzt und werden die Fenster tagsüber geschlossen, wobei die Frischluftzufuhr über die Lüftungsanlage erfolgt, ist es im Gebäude deutlich kühler. „Wir konnten in diesem Projekt zeigen, worauf es für einen niedrigen Energieverbrauch wirklich ankommt. Werden Passivhaus-Komponenten eingesetzt, dann kann die Sanierung eines Altbaus wie in Gießen den EnerPHit-Standard erreichen, mit entsprechend niedrigen realen Verbräuchen. Wird weitgehend im Rahmen der üblichen Erneuerungszyklen saniert, dann lohnt sich eine energetische Sanierung auch wirtschaftlich“, erläutert Jürgen Schnieders abschließend.
Internationalen Passivhaustagung: Schwerpunkt Sanierung
Erfolgreiche und hoch energieeffiziente Sanierungen sind auch Schwerpunktthema der 27. Internationalen Passivhaustagung. Die Leitmesse zum hoch energieeffizienten Bauen und Sanieren findet vom 5. bis 7. April 2024 im österreichischen Innsbruck statt. Zur Tagung gehört ebenfalls eine Fachausstellung mit Passivhaus-Komponenten. Am dritten Tag finden Exkursionen zu den zahlreichen hoch energieeffizienten Projekten in Innsbruck und Tirol statt. Quelle: Passivhaus Institut / ab