17 der 50 umsatzstärksten Unternehmen in Deutschland sind hier ansässig und über 700.000 kleine und mittlere Unternehmen in der Region verwurzelt: Nordrhein-Westfalen gehört aller Krisen zum Trotz zu den relevantesten Wirtschaftsstandorten in ganz Europa. Doch in Zeiten, in denen der Gesetzgeber Tempo in Sachen Nachhaltigkeit fordert, sind Maßnahmen für mehr Energieeffizienz in der Wirtschaft alternativlos. Ein neuer Entwicklungsschritt muss her.
Das gilt insbesondere für das Ruhrgebiet. Der „German Rust Belt“ profitierte Jahrzehnte lang von fossilen Energieträgern. Neben der Frage nach den Kosten für einen energieeffizienten Gebäudebetrieb stellt sich für Firmen aller Größen und Branchen die Frage der Machbarkeit. Zumal Gemeinden mit über 100.000 Einwohnern bis 30. Juni 2026 und Gemeinden mit unter 100.000 Einwohnern bis 30. Juni 2028 Wärmepläne vorgelegt haben müssen. Es besteht damit eine gewisse regulatorische Dringlichkeit.
In der Herzkammer des grauen Kohlenpotts wird heute gezeigt, wie Energieeffizienz trotz der aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen gehen kann. Gemeinsam mit dem Gebäudetechnikunternehmens Caverion als technischer Partner ertüchtigen die Stadtwerke Bochum eine Energiezentrale und denken dabei grundlegend neu.
Mit Energie aus Grubenwasser von der grauen Zeche zum nachhaltigen Pionier
Für das Projekt wird die Energiezentrale in Bochum-Laer mit moderner Heizungs- und Kältetechnik ausgestattet. Auf dem 70 Hektar großen Areal befand sich bis in die 1950er Jahre das Bergwerk einer Zeche. Danach siedelte sich das Automobilunternehmen Opel an. Ende 2020 zog sich die angeschlagene Marke vom Standort zurück. Seitdem wurden neue Pläne für das Gebiet entworfen, verschoben oder zumindest in Teilen umgesetzt. Eine spürbare Modernisierung erfährt das Gebiet nun mit der geplanten Errichtung einer Energiezentrale der Stadtwerke Bochum.
Nach Abschluss der Maßnahme soll auf dem Innovationsquartier Mark 51°7 eine neue Heimat für Forschungseinrichtungen, Start-ups und Technologieunternehmen entstehen. Der Bogen vom ressourcenintensiven Gewerbegelände hin zu einem innovativen Vorzeigeprojekt wird so geschlagen. Zumindest in der Theorie. Wie sieht das Verfahren in der Praxis aus?
Als Energiequelle für rund 80 Prozent des Gesamtbedarfs dient bis zu 800 Meter tief gelegenes Grubenwasser. Aus den längst stillgelegten und mittlerweile gefluteten Stollen des ehemaligen Bergwerks wurde einst Kohle an die Oberfläche transportiert. Langfristig soll das Grubenwasser dafür dienen, klimaschonende Energie zu produzieren.
Das circa 28 Grad Celsius warme Grubenwasser soll – in Verbindung mit den in der Energiezentrale zu errichtenden Wärmepumpen –zukünftig der Beheizung der Gebäude der Kunden dienen. Die Wärme des an die Oberfläche gepumpten Grubenwassers wird über spezielle Wärmetauscher an einen Zwischenkreislauf übertragen. An den Zwischenkreislauf sind Wärmepumpen angeschlossen, um den Wärmebedarf der Gebäude mit einem notwendigen höheren Temperaturniveau zu versorgen.
Das abgekühlte Grubenwasser wird anschließend in eine andere Sohle rund 340 Meter unter der Erdoberfläche zurückgeführt. Das Grubenwasser aus dieser Sohle wird im Sommer mit Temperaturen von rund 17 Grad Celsius zur Gebäudekühlung genutzt. Die durch die Wärmepumpen anfallende Abwärme wird über den Zwischenkreislauf und den Wärmetauschern an das Grubenwasser übertragen, das anschließend in die erste Sohle reinjiziert wird.
Der Zwischenkreislauf dient als Wärmeverschubsystem zwischen der Grubenwasserförderung und den Wärmepumpen. Über die Grubenwasser-Wärmetauscher wird Wärme und Kälte an den Zwischenkreislauf übergeben.
Wärmepumpen als Teilstück der energetischen Ertüchtigung
Neben der Wärmepumpenanlage in der Energiezentrale sollen zwei weitere dezentrale Wärmepumpenanlagen errichtet werden. Diese Wärmepumpenanlagen werden ebenfalls an das Wärmeverschubsystem des Zwischenkreislaufs angeschlossen. Dieser funktioniert ebenfalls als Wärmequelle und -senke. Die derzeit geplante thermische Leistung, die den Verbrauchern zeitgleich im Niedertemperaturnetz zur Verfügung zu stellen ist, liegt bei rund 11.800 Kilowatt thermischer Leistung.
Die geplante Netztemperatur im Niedertemperaturnetz liegt bei einer Vorlauftemperatur von etwa 48 Grad Celsius in der Grundlast – Versorgung und Unterstützung durch die Wärmepumpenanlage – und einer witterungsgeführten Betriebsweise bis maximal 65 Grad Celsius in der Spitzenlast. Die Hausstationen sollen so ausgelegt sein, dass die zu erwartende Rücklauftemperatur im Nahwärmenetz bei maximal 33 Grad Celsius liegt.
Die Wärmepumpenanlage stellt maximal 48 Grad Celsius zur Verfügung. Bei tieferen Außentemperaturen kann die Grundlast-Wärmepumpenanlage die benötigte Wärmeleistung nicht mehr vollständig zur Verfügung stellen. Zum Erreichen der erforderlichen Vorlauftemperatur im Winterfall, wird das bereits vorerwärmte Wasser durch ein vorgelagertes Fernwärmenetz nacherwärmt. Durch Nachheizung über Fernwärme ist die Vorlauftemperatur witterungsabhängig zwischen 48 Grad Celsius und 65 Grad Celsius regelbar. Wichtig dabei: Die Fernwärme soll die Erzeugung über die Wärmepumpen nicht verdrängen. Stand August 2024, läuft die Projektplanung. Ende 2025 ist die voraussichtliche Fertigstellung.