Darauf aufbauend appelliert die DGNB an Politik, Verbände und Wirtschaft, alle unnötigen Parallelaktivitäten umgehend zu stoppen und stattdessen zielgerichtet zusammenzuarbeiten. In diesem Zuge plant die DGNB, ihr Zertifizierungssystem als Regelwerk zur Verfügung zu stellen, damit mehr Kapazitäten in die tatsächliche Umsetzung von Lösungen fließen können.
„Vor dem Hintergrund der schon heute vorherrschenden Vielfalt an Ansätzen und Werkzeugen sehen wir die Zukunft des nachhaltigen Bauens in Deutschland mit großer Sorge“, erklärt Christine Lemaitre, Geschäftsführender Vorstand der DGNB. „Die heutige Diversifikation in Deutschland wird aus dem Ausland mit großer Verwunderung zur Kenntnis genommen, da dies dort meist so nicht üblich ist. Des Weiteren nehmen wir eine zunehmende Verunsicherung der Marktteilnehmenden wahr. Es werden Ausweichräume für alle geschaffen, die sich nicht ernsthaft mit der Qualität von Gebäuden – egal ob im Neubau oder im Bestand – auseinandersetzen wollen.“
Aus diesem Grund hatte die DGNB vor einigen Monaten bei der Kanzlei Franßen & Nusser ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, um die Situation der Nachhaltigkeitsbewertung von Gebäuden in Deutschland im Detail besser zu verstehen. „Wir wollten für uns als Organisation eine unabhängige Einordnung und Analyse der aktuellen Situation bekommen – als kritische Reflektion unserer eigenen Rolle und als Grundlage zur künftigen strategischen Ausrichtung der DGNB“, erklärt Lemaitre.
„Gutachten macht zahlreiche Fehlentwicklungen deutlich“
Das rund 60 Seiten umfassende Gutachten von Rechtsanwalt Michael Halstenberg vermittelt einen Überblick über die wichtigsten gesetzlichen Bestimmungen und Initiativen rund um das nachhaltige Bauen in Deutschland und in der Europäischen Union. Dabei liefert es eine kritische Auseinandersetzung mit der großen Zahl an Entwicklungen, die nicht kompatibel zueinander sind. So macht das Gutachten unter anderem deutlich, dass der Wettbewerb im Bereich der Nachhaltigkeitsbewertung dazu geführt hat, dass es in Deutschland ein eklatantes Umsetzungsdefizit gibt. Die Verunsicherung im Markt und der geschaffene Raum für Ausreden sind Gründe hierfür.
„Das Ergebnis des Gutachtens hat uns dazu bewogen, dieses im Sinne der Transparenz allen Interessierten frei zur Verfügung zu stellen“, sagt Lemaitre. „Dabei geht es uns nicht um irgendeine Form von Schuldzuweisung mit Blick auf die bisherigen Fehlentwicklungen. Viel wichtiger ist uns, nicht noch mehr Zeit zu vergeuden, sondern endlich gemeinsam in die richtige Richtung zu arbeiten – im ernstgemeinten Schulterschluss von Politik, Wirtschaft und Verbänden.“
DGNB ruft auf zur Bündelung von Aktivitäten
Dass die verschiedenen Standards, die in den vergangenen Jahren geschaffen wurden, nicht kompatibel zueinander sind, ist durchaus nachvollziehbar. „Das Problem ist, dass ausgehend von der rasant wachsenden Zahl an neuen Anforderungen, diverse Ansätze unterschiedliche Startpunkte haben, die nicht aufeinander abgestimmt sind“, erklärt Lemaitre. „Manche fußen auf den übergeordneten Nachhaltigkeits- und Klimaschutzzielen, andere bauen auf den regulatorischen Anforderungen auf nationaler und europäischer Ebene auf. Hinzu kommt all das, was im Zuge des Green Deals und den dazugehörigen Aktivitäten im Bereich Sustainable Finance von Unternehmen gefordert wird.“
Für Anbieter von Bewertungssystemen bedeutet dies, dass sie ihre angebotenen Verfahren ständig im Hinblick auf all diese neue Anforderungen überprüfen und weiterentwickeln müssen. Eine Aufgabe, die kaum zu bewältigen ist, wenn sie von jedem separat gelöst werden muss. „Wir befinden uns in Deutschland in einer Sackgasse, aus der wir nur herauskommen, wenn wir uns auf einen Standard einigen“, so Lemaitre.
Version 2023 des DGNB Systems bringt diverse Ansätze zusammen
„Wir sind überzeugt davon, dass die Version 2023 unseres DGNB-Systems diesen Anspruch erfüllt“, meint Lemaitre. „Es berücksichtigt alle relevanten Perspektiven und adressiert EU-weite und nationale Zielsetzungen. Es bringt die Vielzahl an Zielkonflikten in einem Bewertungssystem zusammen und ist so gestaltet, dass es auf neue Anforderungen schnell und flexibel reagieren kann. Kurzum: Ein Maßstab für alles, was kommt, und ein Regelwerk, in dem sich jeder wiederfinden kann.“
Dieses möchte die DGNB für andere Marktteilnehmenden frei zugänglich machen. Wie die Non-Profit-Organisation es bereits seit vielen Jahren im Ausland praktiziert, wird es künftig die Möglichkeit geben, das DGNB-System auch innerhalb von Deutschland als Lizenznehmer für sich zu nutzen. Eine solche Art der Zusammenarbeit wurde im Laufe des Jahres bereits mit der HafenCity Hamburg GmbH erfolgreich umgesetzt. Andere Systemanbieter sind eingeladen, konkrete Möglichkeiten der Kooperation mit der DGNB im Detail zu eruieren. In diesem Zuge plant die DGNB in den kommenden Wochen zahlreiche Gespräche mit politischen Entscheidungstragenden und Wirtschaftsverbänden zu führen.
„Wir dürfen es uns im Zuge von Klimawandel, Ressourcenknappheit, Biodiversitätsverlust und sozialer Spannungen nicht leisten, weiter wertvolle Zeit zu verlieren“, sagt Lemaitre. „Es ist unverantwortlich, künftig weiterhin öffentliche Gelder in die Entwicklung schon erforschter und definierter Aspekte der Nachhaltigkeitsbewertung zu geben. Dies führt nur zu einer weiteren Verlangsamung. Unser aller Fokus muss auf der Umsetzung der Nachhaltigkeits- und Klimaschutzziele liegen.“ Quelle: DGNB / pgl