Trotz krisen- und kriegsbedingt unsicherer Wirtschaftsaussichten nimmt der Fachkräftemangel in Deutschland weiter leicht zu: Im April 2022 gaben 44 % der Unternehmen im KfW-ifo-Fachkräftebarometer an, durch fehlende Fachkräfte in ihrer Geschäftstätigkeit behindert zu sein.. Damit erreicht der Fachkräftemangel einen neuen bisherigen Höhepunkt. Insgesamt sind große Unternehmen etwas häufiger betroffen als kleine und mittlere.
Spitzenreiter bleibt der Dienstleistungssektor, in dem aktuell jedes zweite Unternehmen über fehlendes Fachpersonal klagt. Das Verarbeitende Gewerbe erreicht mit 40 Prozent den höchsten Anteil betroffener Firmen seit 30 Jahren. Im Bau mangelt es in 36 Prozent der Unternehmen an Fachkräften.
Unternehmen suchen trotz Krise Personal
Der neue Rekordwert beim Fachkräftemangel geht einher mit dem im April durch die Bundesagentur für Arbeit gemeldeten Höchstwert offener Stellen in Deutschland seit der Wiedervereinigung. Den Unternehmen mangelt es trotz der sich kumulierenden Krisen nicht an Nachfrage. Die Auftragsbücher sind prall gefüllt. Zahlreiche Firmen stellen daher weiter ein, auch wenn die internationalen Lieferengpässen bei Rohstoffen und Vorprodukten, die starken Energie- und Materialpreissteigerungen und die Folgen des Kriegs in der Ukraine die wirtschaftlichen Aussichten belasten.
In einem Szenario ohne abrupte Unterbrechung der Energieversorgung ist jedoch davon auszugehen, dass sich die Erholung der deutschen Wirtschaft im weiteren Jahresverlauf fortsetzen wird, wenn auch mit deutlich gedämpftem Schwung. Gleichzeitig ist der demografische Wandel in Deutschland bereits in vollem Gang und trifft den Arbeitsmarkt mit wachsender Wucht: Die Erwerbsbevölkerung wird zwischen 2025 und 2035 beschleunigt schrumpfen, um ca. 500.000 Personen pro Jahr.
Fachkräftemangel kann zur Wachstumsbremse werden
"Die Zahlen vom Arbeitsmarkt und die des KfW-ifo-Fachkräftebarometers machen deutlich: Es wäre ein Fehler, bei Engpässen, die den Aufschwung behindern, nur an Rohstoffe und Vorleistungen aus dem Ausland zu denken. Auch der Fachkräftemangel hat erhebliche Auswirkungen - die vor allem auf längere Sicht vermutlich noch gravierender sein werden", sagt Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der KfW Bankengruppe.
Ohne Gegensteuern beeinträchtige der Fachkräftemangel das Wachstumspotenzial der deutschen Wirtschaft bereits bis zur Mitte dieses Jahrzehnts erheblich. "Für die Eindämmung steht die Uhr bereits auf fünf nach zwölf - denn die Herausforderungen sind wesentlich größer geworden: Die beschleunigte Energie- und Verkehrswende, der Nachholbedarf bei der Digitalisierung, der steigende Arbeitskräftebedarf im Gesundheits- und Pflegesektor sowie in den Bereichen Kinderbetreuung und Bildung, die Wohnungsknappheit in Ballungsregionen, der hohe Investitionsbedarf in der öffentlichen Infrastruktur und die steigende Zahl der mitzuversorgenden Ruheständler schaffen neue Nachfrage nach Arbeitskräften. Ein Nachbessern bei der deutschen Strategie zur Fachkräftesicherung und ihre konsequente Umsetzung ist daher unmittelbar geboten, um die Herausforderungen zu bewältigen", so Köhler-Geib. "Dazu gehört die noch stärkere Ausschöpfung des Arbeitskräftepotentials in Deutschland und die weitere Öffnung des Arbeitsmarkts für Zuwanderung, v.a. auch für nicht-akademische Fachkräfte, begleitet von intensiver Sprachförderung und der vereinfachten Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse."
Bevölkerung spricht sich für Zuwanderung aus
Wie eine neue repräsentative Befragung von KfW Research zeigt, sieht die Bevölkerung den Bedarf einer aktiven Einwanderungspolitik sehr deutlich: 83 % der 18- bis 67-Jährigen sind für mindestens gleichbleibende Bemühungen um ausländische Fachkräfte, darunter 48 % für größeres Engagement. Nur 15 % sprechen sich für geringere Fachkräftezuwanderung aus. Im Vergleich zu einer identischen Befragung vor drei Jahren ist die migrationspolitische Haltung offener geworden.
Die Einstellung zur Zuwanderung unterscheidet sich deutlich nach der beruflichen Bildung, dem Einkommen und dem Arbeitsmarktstatus. Akademiker, Gutverdiener und Beamte sind zu 60 % für mehr Fachkräftezuwanderung, während die Gegenposition mit weniger als 10 % sehr selten ist. Bei niedrigeren Berufsabschlüssen und Einkommen bzw. Arbeitslosigkeit verschiebt sich das Stimmungsbild: In der arbeitslosen Bevölkerung sind z. B. 35 % für verstärkte Fachkräftezuwanderung, während 25 % die Gegenposition vertreten. Quelle: KfW-ifo / pgl
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