Am Gebäude des Instituts für Physik der Humboldt Universität in Berlin Adlershof untersucht die TU Berlin seit 15 Jahren die Auswirkungen von 450 Kletterpflanzen auf die Energiebilanz des Gebäudes. Neben dem Vergleich zu einem konventionellen Sonnenschutz werden auch die Funktionalität, Betriebskosten, geeignete Pflanzenarten und Pflanzsubstrate sowie eine optimale Bewässerungssteuerung analysiert [1].
Während in der Vergangenheit bei der Freiraumplanung ein Schwerpunkt auf der Versickerung von Regenwasser lag, gerät nun vermehrt die Verdunstung ins Blickfeld. Der Grund erschließt sich leicht, wenn man beispielsweise die Niederschläge im Einzugsgebiet der Elbe betrachtet. Nur ein geringer Teil der Niederschläge im Raum Berlin/Brandenburg trägt zur Grundwasserneubildung bei. In offenem, nicht versiegeltem Gelände ist der Abfluss ebenfalls gering: 80 % der Niederschläge verdunsten. Global werden 42 % der solaren Einstrahlung an der Erdoberfläche in Verdunstungsprozesse und damit in Kühlung umgewandelt (Abb. 3).
Läuft jedoch das Regenwasser in Städten über die Kanalisation ab oder versickert es ohne Vegetationsanbindung in den Untergrund, geht durch die fehlende Verdunstung der Kühleffekt verloren. Dadurch entsteht der sogenannte „Urban Heat Island Effect“ (Abb. 2). Das Phänomen nimmt weltweit zu mit Urbanisierungsraten von täglich 1 Mio. m2 in Deutschland, global etwa 150 km2 pro Tag.
Vom begrünten Dach zur begrünten Fassade
Der Entwurf zur neuen DWA 102 [2] hat den Erhalt des natürlichen Wasserhaushalts zum Ziel und setzt nun verstärkt auf Verdunstung. Damit rückt die Gebäudebegrünung in den Vordergrund.
An der TU Berlin wurde bereits Anfang der 90er-Jahre der Einfluss extensiv begrünter Dächer auf das Stadtklima untersucht [3] und belegt, dass sich die Wärme aus solarer Einstrahlung durch solch eine Begrünung deutlich verringert: Mit einer Verdunstungsrate von 70 % des Jahresniederschlags setzt sie etwa 300 kWh / (m2 a) in Kühlung um. Das entspricht knapp zwei Dritteln der Nettostrahlung.
Beim Gebäude des Physik-Instituts ist nicht das Dach begrünt, sondern neun Fassaden. 150 Kletterpflanzen gedeihen im natürlichen Boden und 300 Pflanzen in 150 Fassadenkübeln mit Anstau-Bewässerung (Abb. 4). Das System ermöglicht, den exakten Wasserverbrauch auch im Tagesverlauf zu bilanzieren (Abb. 5).
In den Sommermonaten werden pro Fassade und Tag durchschnittlich 280 kWh in Verdunstungskälte umgesetzt. Dadurch verbessert sich das Mikroklima im direkten Gebäudeumfeld, außerdem konnte nachgewiesen werden, dass im Vergleich zum konventionellen Sonnenschutz etwa 25 % Primärenergie und 50 % an konventioneller Gebäudekühlung eingespart werden kann (Abb. 6). Und das bei wesentlich geringeren Investitions- und Betriebskosten. Im Mittel belaufen sich die Reparatur- und Wartungskosten für den konventionellen Sonnenschutz am Physikinstitut des Humboldt Universität Berlin auf 16 525 Euro pro Jahr. Für Bewässerung, Düngung und Schnitt der Fassadenbegrünung werden dagegen nur etwa 1300 Euro ausgegeben. Bei einer Fassadenfläche von 3977 m2 entspricht das 33 ct / m2 a.
Bisher wissen leider viel zu wenige Architekten und Planer, dass die Fassadenbegrünung bei geringeren Investitions- und Betriebskosten einen besseren sommerlichen Wärmeschutz ermöglicht als eine konventionelle Verschattung und damit eine vorteilhafte Anpassungsstrategie an den Klimawandel bietet.
Fassadenbegrünung in der Bilanzierung nach DIN V 18599
Eine Fassadenbegrünung lässt sich nicht so ohne Weiteres in die Bilanzierung nach DIN V 18599 zum sommerlichen Wärmeschutz einbinden. Um dies wenigstens für die kurzwellige Strahlung (Sonneneinstrahlung) zu ermöglichen, wurden die an der HU Berlin gemessenen Werte für die Verschattung durch konventionellen Sonnenschutz und durch die Fassadenbegrünung als Monatsmittelwerte in die Berechnung implementiert.
Für die Begrünung wurden 24 Verschattungswerte gemessen und in der Software als feststehender Sonnenschutz eingebunden, je 12 Monatsmittelwerte für die konventionelle und die begrünte Fassade. Die Energiebilanz musste 24 Mal berechnet und anschließend zusammengefasst werden. Abb. 6 stellt den Vergleich aus Simulationen und Messwerten für Gebäudeheizung und Kühlung für eine südorientierte Büroraumgruppe dar. Die ersten drei Balkengruppen zeigen Ergebnisse der Berechnungen nach DIN V 18599 ohne bzw. mit Sonnenschutz, Balken 4 und 5 die Berechnung mit der jeweils gemessenen Verschattung am Gebäude in Adlershof. Die Berechnungsergebnisse für den automatisch gesteuerten Sonnenschutz (Balken 3) stimmen mit den am Gebäude gemessenen Werten (Balken 4) weitgehend überein.
In der Summe aus Heiz- und Kühlbedarf schneidet die Fassadenbegrünung (Balkengruppe 5) überraschend viel besser ab als der konventionelle Sonnenschutz (Balken 4). Der enorme Einfluss der Fassadenbegrünung auf den Primärenergiebedarf liegt darin begründet, dass aufgrund des Glasanteils von 72 % und des geringen Primärenergiefaktors der Fernwärme der Bedarf an Kälte dominiert. Für moderne Gebäude ist dies durchaus typisch. Während der Bedarf an Heizenergie durch Effizienzmaßnahmen kontinuierlich sinkt, steigt im Gegenzug der Bedarf an sommerlicher Klimatisierung.
Das Ergebnis wäre noch beeindruckender, wenn der große Vorteil der Fassadenbegrünung – die Kühlung durch Verdunstung – in der Berechnung berücksichtigt werden könnte. Die starke Vereinfachung der Gebäudemodelle mit der Begrenzung auf kurzwellige Strahlung und das Verhältnis Innen- zu Außentemperatur vernachlässigt wesentliche Parameter wie die langwellige Strahlungskomponente, die atmosphärische Gegenstrahlung und den Einfluss des Phasenwechsels durch Verdunstung von Wasser auf die Energiebilanz.
Temperaturen auf den Glasoberflächen
Abb. 7 zeigt die Oberflächentemperatur des Glases hinter einem konventionellen Sonnenschutz im Vergleich zur Fassadenbegrünung, gemessen jeweils mit einem Pyrradiometer der Fa. Schenk, Wien. Bei einer Zieltemperatur von 26 °C im Gebäude wird die Oberflächentemperatur hinter dem konventionellen Sonnenschutz tagsüber um 8,5 K überschritten, hinter den an Seilen geführten Kletterpflanzen nur um 1 K.
Bei einer konventionellen Wärmeschutzverglasung werden die Oberflächentemperaturen des Glases in das Gebäude eingetragen. Um der sommerlichen Überwärmung von Räumen entgegenzuwirken, hat die Humboldt-Universität für einzelne Räume nachträglich eine Folie von außen aufgebracht. Die Maßnahme verursachte Kosten von 38 000 Euro.
Fazit
Global gehen täglich etwa 800 km2 an Vegetation durch Abholzung, Urbanisierung und Ausbreitung der Wüsten verloren. Das entspricht in etwa der Fläche Berlins. Mit dem Vegetationsverlust und dem Verlust an Verdunstung verlieren wir den Kühlungseffekt und tragen damit zur globalen Erwärmung bei. Außerdem gibt es einen weiteren fatalen Effekt: Die Verdunstung fehlt auch zur Entstehung von Wolken und damit zur Bildung von Niederschlägen. Es ist an der Zeit, der zunehmenden Flächenversiegelung entgegenzuwirken – etwa mit Fassadenbegrünungen, die auch das Klima in den Gebäuden vorteilhaft beeinflussen.
Damit die positiven Wirkungen der Fassadenbegrünung auf die Gebäudeenergiebilanz berücksichtigt werden können, ist eine Ergänzung der geltenden Normen erforderlich.
Quellen:
[1] SenStadt (2010): Konzepte der Regenwasserbewirtschaftung – Gebäudebegrünung, Gebäudekühlung. Leitfaden für Planung, Bau, Betrieb und Wartung. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, www.stadtentwicklung.berlin.de/bauen/oekologisches_bauen
[2] DWA-A 102: Grundsätze zur Bewirtschaftung und Behandlung von Regenwetterabflüssen zur Einleitung in Oberflächengewässer – Entwurf (Oktober 2016)
[3] Schmidt, M. (1992): Extensive Dachbegrünung als Beitrag zur Verbesserung des Stadtklimas. Diplomarbeit, TU Berlin
[4] BMUB 2016: Leitfaden Nachhaltiges Bauen – Zukunftsfähiges Planen, Bauen und Betreiben von Gebäuden. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. 2. Auflage Februar 2016, www.nachhaltigesbauen.de
[5] Matzinger, A. et. al. 2017: KURAS-Leitfaden der zielorientierten Planung von Maßnahmen der Regenwasserbewirtschaftung, www.kuras-projekt.de
[6] TU Berlin (2014): HighTech-LowEx: Energieeffizienz Berlin Adlershof 2020 – Abschlussbericht Teil 8 Energieeffiziente Gebäude. BMWi EnEff: Stadt, Förderkennzeichen 03ET1038A und B.
Testkurse für TGA-Planer und Architekten
Über ein Projekt des Umweltministeriums im Forschungsschwerpunkt „Anpassung an den Klimawandel – Klimaresiliente Architektur“ werden bis 2020 unterschiedliche Ansätze einer klima- und umweltverträglichen Lösungsstrategie für Gebäudeklimatisierung als Bildungsmodule für TGA-Planer und Architekten dokumentiert und in die Planungspraxis eingebracht. Bei kostenloser Teilnahme an Testkursen ist die Anerkennung von Fort- bzw. Weiterbildungsstunden (Einheiten) über die Architektur- und Ingenieurkammern vorgesehen.
Die nächsten Veranstaltungen finden im Rahmen des BuGG-Städtedialogs Gebäudegrün ( www.bit.ly/geb1608 ) am 11. September 2019 in Berlin statt und im Rahmen der Fachtagung: Energie-Gründach und Grünfassade ( www.bit.ly/geb1609 ) am 3. Oktober 2019 in Zürich.
Marco Schmidt
arbeitet seit 1992 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität Berlin, seit 2019 im Fachgebiet Konstruktives Entwerfen und Klimagerechtes Bauen. Parallel dazu ist er seit 2016 im Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Referat Energieoptimiertes Bauen tätig. Sein Schwerpunkt liegt auf der Schnittstelle im ökologischen Bauen zwischen den „Bausteinen“ Energie, Wasser und grüner Infrastruktur.