Mit seinem am 29. April 2021 veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die Regelungen des Bundes-Klimaschutzgesetzes vom 12. Dezember 2019 (KSG) insofern mit Grundrechten unvereinbar sind, als hinreichende Maßgaben für die weitere Emissionsreduktion ab dem Jahr 2031 fehlen.
Der Vorspann, er entspricht der leicht gekürzten und korrigierten Einleitung der Presseerklärung des Bundesverfassungsgerichts, klingt nach wenig, wird aber schon kurzfristig erhebliche Konsequenzen, mutmaßlich auch für die aus dem zu überarbeitenden Bundes-Klimaschutzgesetz abzuleitenden Klimaschutzmaßnahmen im Gebäudesektor haben.
Rechtsanwältin Dr. Roda Verheyen, die die neun Jugendlichen bei der Verfassungsbeschwerde für eine menschenwürdige Zukunft vertritt, analysiert die Entscheidung: „Das Bundesverfassungsgericht hat heute einen global beachtlichen neuen Maßstab für Klimaschutz als Menschenrecht gesetzt. Es hat die extreme Krisensituation beim Klimaschutz erkannt und die Grundrechte generationengerecht ausgelegt. Der Gesetzgeber hat jetzt einen Auftrag für die Festlegung eines schlüssigen Reduktionspfads bis zur Erreichung der Treibhausgasneutralität. Abwarten und verschieben von radikalen Emissionsreduktionen auf später ist nicht verfassungskonform. Klimaschutz muss heute sicherstellen, dass zukünftige Generationen noch Raum haben.“
Germanwatch hat die Verfassungsbeschwerde unterstützt. Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch: „Das bahnbrechende Urteil des Bundesverfassungsgerichts legt den Schutz der Grundrechte endlich generationengerecht aus. Die Freiheit und Grundrechte von morgen dürfen nicht durch unsere Emissionen heute verheizt werden – es gibt die Verpflichtung, diesen Schutz durch ein wissenschaftsbasiertes Bundes-Klimaschutzgesetz zu gewährleisten. Der Grundrechtsschutz gilt auch für betroffene Menschen im globalen Süden. Dieses Urteil wird ein zentraler Bezugspunkt für alle Klimaklagen, die weltweit anhängig sind.“
Aus der Begründung des Bundesverfassungsgerichts:
„Das [Bundes-]Klimaschutzgesetz verpflichtet dazu, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um 55 % gegenüber 1990 zu mindern und legt durch sektorenbezogene Jahresemissionsmengen die bis dahin geltenden Reduktionspfade fest (§ 3 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit Anlage 2). Zwar kann nicht festgestellt werden, dass der Gesetzgeber mit diesen Bestimmungen gegen seine grundrechtlichen Schutzpflichten, die Beschwerdeführenden vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen, oder gegen das Klimaschutzgebot des Art. 20a GG verstoßen hat.
Die zum Teil noch sehr jungen Beschwerdeführenden sind durch die angegriffenen Bestimmungen aber in ihren Freiheitsrechten verletzt. Die Vorschriften verschieben hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030. Dass Treibhausgasemissionen gemindert werden müssen, folgt auch aus dem Grundgesetz. Das verfassungsrechtliche Klimaschutzziel des Art. 20a GG ist dahingehend konkretisiert, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur dem sogenannten ‚Paris-Ziel‘ entsprechend auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.
Um das zu erreichen, müssen die nach 2030 noch erforderlichen Minderungen dann immer dringender und kurzfristiger erbracht werden. Von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten ist praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind.
Der Gesetzgeber hätte daher zur Wahrung grundrechtlich gesicherter Freiheit Vorkehrungen treffen müssen, um diese hohen Lasten abzumildern. Zu dem danach gebotenen rechtzeitigen Übergang zu Klimaneutralität reichen die gesetzlichen Maßgaben für die Fortschreibung des Reduktionspfads der Treibhausgasemissionen ab dem Jahr 2031 nicht aus. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die Fortschreibung der Minderungsziele der Treibhausgasemissionen für Zeiträume nach 2030 bis zum 31. Dezember 2022 näher zu regeln.“
KSK muss freiheitsschonenden Übergang in die Klimaneutralität gewährleisten
Nach dem neuen EU-Klimaziel einer Treibhausgasreduktion von 55 % statt bisher 40 % bis 2030 gegenüber 1990 wird Deutschland die Minderungsziele ohnehin deutlich anpassen müssen. Es gibt aber aus der Wissenschaft auch erhebliche Kritik, dass ein Ausrichten der Klimaschutzmaßnahmen auch am verschärften EU-Klimaziel das Erreichen der Ziele aus dem Pariser Übereinkommen unmöglich macht.
Hintergrund sind wissenschaftlich berechnete Gesamtmengen an Treibhausgasemissionen (Treibhausgas-Budget bzw. CO2-Budget), die mit dem 2.0- bzw. 1.5-Grad-Ziel verknüpft sind. Mit den aktuellen und wohl auch aus dem neuen EU-Klimaziel abgeleiteten Minderungszielen bis 2030 würde aber von dem noch vorhandenen CO2-Budget so viel aufgezehrt, dass es nur noch mit drastischsten Beschränkungen – die Beschwerdeführer bezeichnen sie als „Vollbremsung“ – möglich wäre, im Rahmen des CO2-Restbudget das bis 2030 erreichte Emissionsniveau auf Null zu senken.
So sieht das Bundesverfassungsgericht Grundrechte „dadurch verletzt, dass die nach § 3 Abs. 1 Satz 2 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit Anlage 2 bis zum Jahr 2030 zugelassenen Emissionsmengen die nach 2030 noch verbleibenden Emissionsmöglichkeiten erheblich reduzieren und dadurch praktisch jegliche grundrechtlich geschützte Freiheit gefährdet ist. Als intertemporale Freiheitssicherung schützen die Grundrechte die Beschwerdeführenden hier vor einer umfassenden Freiheitsgefährdung durch einseitige Verlagerung der durch Art. 20a GG aufgegebenen Treibhausgasminderungslast in die Zukunft. Der Gesetzgeber hätte Vorkehrungen zur Gewährleistung eines freiheitsschonenden Übergangs in die Klimaneutralität treffen müssen, an denen es bislang fehlt. […]
Ein umfangreicher Verbrauch des CO2-Budgets schon bis 2030 verschärft jedoch das Risiko schwerwiegender Freiheitseinbußen, weil damit die Zeitspanne für technische und soziale Entwicklungen knapper wird, mit deren Hilfe die Umstellung von der heute noch umfassend mit CO2-Emissionen verbundenen Lebensweise auf klimaneutrale Verhaltensweisen freiheitsschonend vollzogen werden könnte.“
„Ein wichtiges Signal für den Klimaschutz und die Energiewende“
Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Nachbesserung des deutschen Klimaschutzgesetzes begrüßt. Dr. Simone Peter, Präsidentin des BEE: „Das Pariser Klimaschutzabkommen wurde von Bundestag und Bundesrat ratifiziert. Das Bundesverfassungsgericht unterstreicht heute den Grundsatz: Verträge sind einzuhalten. Dieses Urteil ist deshalb ein wichtiges Signal für den Klimaschutz und die Energiewende. Es muss nun präzise geregelt werden, wie der Pfad zur Klimaneutralität auch nach 2030 erreicht werden kann. Klare Zielvorgaben zur Treibhausgas-Minderung sind erforderlich, um das 1.5-Grad-Ziel zu erreichen. Die bisherigen Klimaziele bis 2030 sind nicht ansatzweise ambitioniert genug, um zunächst die Teilziele zu erreichen und Deutschland auf dem Weg der Klimaneutralität maßgeblich voranzubringen.“
Bundesumweltministerin Svenja Schulze, hat kurz nach der Verkündung des Bundesverfassungsgerichts angekündigt, noch im Sommer Eckpunkte für ein weiterentwickeltes Klimaschutzgesetz vorzulegen. GLR
Siehe auch: Messgröße der Energiewende sollte ein CO2-Budget sein