Hallo und herzlich Willkommen, geneigter Leser und GEB-Abonnent, im Jahr 2021, dessen erste taufrischen Tage gerade hinter uns liegen, und das schon binnen seiner ersten Minuten spektakulär zu beeindrucken wusste. Statt Böller und klirrenden Sektgläsern im Freien eine Sylvesternacht mit Ausgangssperre – wer hätte sich das vor einem Jahr träumen lassen? Kaum jemand hatte damals das tückische Virus auf dem Schirm, und man kannte das Vermummungsverbot, aber nicht das Gegenteil davon. Knapp drei Monate später stufte die WHO die Infektionskrankheit als Pandemie ein. Heute hat man das C-Wort dermaßen satt, es klingt wie Hohn in den Ohren einer Gesellschaft, die sich der Unverwundbarkeit ihrer persönlichen Freiheit so sicher war. Neue Begriffe und Namen brannten sich ein – Lockdown, Fallzahlen, 7-Tage-Inzidenz, Hotspot, Querdenker, Wieler, Lauterbach … aaarghh.
Das Gute bei all dem Chaos, den Einschränkungen, Ängsten, der Wut und der Ratlosigkeit: Das Herunterfahren des Alltags von Hundert auf nahe Null bot Wissenschaftlern die Chance eines wohl einzigartigen natürlichen Experimentes: Nämlich jenseits des Labors und williger Testpersonen herauszufinden, welche Auswirkungen es hat, wenn plötzlich keine Flugzeuge mehr fliegen, die Stille den Lärm ersetzt, keine Pendler mehr die Straßen verstopfen, die Kurzarbeit den Menschen mehr Freizeit beschert, geschlossene Läden die Fußgängerzonen verwaisen lassen, der Tourismus zum Erliegen kommt. Klar, die Ökonomie ist abgerauscht, der Schuldenberg lässt den Himalaya verblassen. Dafür brauchte es keine Studien. Interessanter ist die Frage: Profitiert das Klima von einem globalen Lockdown? Um das zu beantworten, hilft der nötige Abstand in der Betrachtung, also analysierten Klimaforscher Bilder der NASA, aufgenommen von Satelliten, und verglichen sie mit Aufnahmen vor dem Lockdown. China zu Jahresbeginn: Gelbe, orangene und rote Flecken über den Metropolregionen, kurz nach dem wirtschaftlichen Stillstand weißer Himmel. Um fast neun Prozent gingen die CO₂-Emissionen im letzten Jahr coronabedingt zurück. Historisch gesehen der größte relative Rückgang seit dem Zweiten Weltkrieg … doch um welchen Preis, in Anbetracht der Billionen Euro an finanziellen Aufwendungen, die den Zusammenbruch der Weltwirtschaft verhindern sollen? Interessanter ist der Blick in die Details der Erkenntnisse, die Hans Joachim Schellnhuber, emeritierter Direktor des Instituts für Klimafolgenforschung in Potsdam, im Deutschlandfunk zusammenfasste: „Was sich herausstellt, ist, dass es vor allem auf Schwerindustrie, auf das Baugeschehen und so weiter ankommt, also eher auf die mittellangfristigen Dinge. Wenn alle Menschen jetzt plötzlich aufs Fliegen verzichten würden, hätte man schon einen gewissen Effekt, aber er ist vergleichsweise gering. Warum? Weil der gesamte Flugverkehr nur etwa drei Prozent zum Emissionsgeschehen beiträgt.“
Kommt es also gar nicht so sehr darauf an, welche Entscheidungen Otto Normalklimaschützer trifft? Flugverzicht, Kauf eines Elektroautos? Eine solche Schlussfolgerung wäre zu kurz gegriffen, denn natürlich bestimmt das Handeln der Individuen, ob wir die Klimafolgen begrenzen können. Aber es sind nicht primär die kurzfristigen Entscheidungen, auf die es ankommt. Schellnhuber sieht hier die Politik in der Verantwortung, denn für ernsthaften Klimaschutz muss sie „in Zwei-Jahres-Schritten, Fünf-Jahres-Schritten, Zehn-Jahres-Schritten, 50-Jahres-Schritten gleichzeitig denken […] und das kann eigentlich nur gelingen im engen Dialog mit der Wissenschaft.“ Zur Bewältigung der Corona-Krise hingen die Kanzlerin und MinisterpräsidentInnen an den Lippen anerkannter Virologen – und wagten doch nur Hasensprünge. Ergo: Wir müssen den Dialog mit der Wissenschaft suchen, die Bauherren zu mittellangfristig klimaschonenden Entscheidungen bewegen und so das politische Zaudern umgehen. Das ist jedenfalls meine Erkenntnis aus dem verkork(s)ten 2020er-Jahrgang.
Ihre Claudia Siegele