Das haben wir uns so nicht ausgemalt, als wir vor einem Jahr den Schwerpunkt dieser Ausgabe festgelegt haben. Dass ein Thema wie Quartiersstrategien, das aufgrund seiner Komplexität häufig in trocken-abstrakter Fachsprache behandelt wird, Brisanz bekommen könnte. Aber der Quartiersansatz hat nicht nur Freunde, seit längerem gibt es ein Grundmisstrauen: Die Betrachtung der Effizienz auf Quartiersebene solle den Blick vom einzelnen Gebäude ablenken.
Nicht zu Unrecht, wie sich gerade wieder zeigt. Bundesbauministerin Klara Geywitz rückt von den gebäudescharfen Effizienzzielen ab, wie die EU sie fordert (siehe auch Topthema Seite 8). Dass besagte Vorgaben, die Minimum Energy Performance Standards (WPB), nicht zuletzt auch auf deutsche Initiative zustande kamen, daran kann man sich in Brüssel noch gut erinnern, in Berlin offenbar nicht mehr so richtig. Genauso wird an der Spree jetzt an der Priorisierung der WPB herumgekrittelt. Folglich beschwört man das Quartierskonzept, in dem die hocheffizienten Gebäude und die Erneuerbaren Energien die Schwächen der WPB ausgleichen. Solidarität – klingt immer gut.
Ziemlich durchsichtig findet das der GIH. Sein Bundesvorsitzender Stefan Bolln warnt vor Attentismus: „Viele Hausbesitzer werden sich anschauen, was denn die anderen in ihrem Quartier machen und eigene Bemühungen hintenanstellen. Und wen der Gesetzgeber in wenig effizienten Quartieren wie in die Verantwortung nehmen will, ist ebenfalls alles andere als klar.“ Warum dieses Manöver? Womöglich, weil die Regierung den Bau von jährlich 400.000 neuen Wohnungen versprochen hat, es 2022 aber nur 295.000 wurden. Da muss ein Sündenbock her. Gestiegene Energiepreise, der Anstieg der Zinsen auf das Vierfache? Nein, für Geywitz ist es vor allem die Gebäudedämmung, die die Kosten hochtreibt. Daher wohl der Verweis auf den angeblichen Problemlöser Quartiersansatz.
Vielleicht muss man ihn vor seinen Fürsprecherinnen, seinen falschen Freundinnen und Freunden schützen. Welches Potenzial er hat, illustrieren inzwischen zahlreiche Beispiele landauf, landab, Quartiere, in denen unter Einhaltung hoher Effizienzstandards saniert wurde, wo oft dazu intensive Begrünung für ein gesundes Mikroklima sorgt. Mit der Begrünung sind wir beim Thema Klimaanpassung, die neben dem Klimaschutz zusehends an Bedeutung gewinnt. Um sie wirkungsvoll umzusetzen, muss man über Gebäude- und Grundstücksgrenzen hinausdenken.
Ausgerechnet Wolfgang Neußer vom Bundesinstitut für Bau, Stadt- und Raumforschung (BBSR), Projektleiter der Begleitforschung zum KfW-Programm „Energetische Stadtsanierung“ und überzeugter Quartiersdenker, erwähnte im Gespräch mit uns jedoch eine Maßnahme, die Klimaschutz und Klimaanpassung auf einfachste Art und Weise und gebäudescharf vereint: den Wärmeschutz. Er senke die Emissionen einer Immobilie und schütze die Bewohner:innen nicht nur vor Kälte, sondern auch vor Hitze. Was angesichts der sich ankündigenden Klimaverhältnisse immer wichtiger wird.
Es stimmt, dass die Akteure auf Quartiers- und kommunaler Ebene das WPB-Konzept in Teilen kritisch sehen, zu lesen im Bericht zur Begleitforschung, auf den wir unter anderem in diesem Heft eingehen. Doch es werde nicht grundsätzlich in Frage gestellt, so Neußer. Man muss im Endeffekt genau hinschauen, muss sehen, wie die Quartierskonzepte vor Ort umgesetzt werden. Energieberatende können dabei übrigens eine entscheidende Rolle spielen, sagt der Experte vom BBSR, wenn sie eine bestimmte Schlüsselqualifikation mitbringen: kommunikative Kompetenz. Und davon darf man doch ausgehen.
Viel Freude beim Lesen wünscht Ihnen
Ihr GEB-Redaktionsteam