Herr Holm, was bedeutet „graue Energie“? Wie kann man sie ermitteln?
Holm: Der Begriff „graue Energie“ kommt ursprünglich aus der Schweiz. Inzwischen wird er vermehrt auch im gesamten deutschsprachigen Raum verwendet. Hierzulande ist er allerdings nicht eindeutig definiert und wird deshalb auch unterschiedlich verwendet bzw. interpretiert. Mit grauer Energie wird der kumulierte Aufwand an nicht-erneuerbarer Primärenergie zur Herstellung und Entsorgung eines Baustoffes bezeichnet. Berücksichtigt werden alle vorgelagerten Prozesse, vom Rohstoffabbau über Herstellungs- und Verarbeitungsprozesse, und die Entsorgung, inklusive der dazu notwendigen Transporte und Hilfsmittel.
Die graue Energie ist eine Kenngröße mit großem Praxisbezug. Warum war sie bisher so wenig im Bewusstsein?
Holm: Bisher richtet der normative Rahmen zur energetischen Bilanzierung von Gebäuden seinen Fokus auf die Betriebs- bzw. Nutzungsphase des Gebäudes, indem die Verbrauchs- bzw. Bedarfswerte für nicht erneuerbare Primärenergie als wesentliche Kenngrößen ausgewiesen werden. Die graue Energie, also die Aufwände für die Herstellung der Bauprodukte, die Errichtung des Gebäudes und die letztlich notwendige Entsorgung, ist darin nicht enthalten. Im Sinne einer weiteren Reduktion von Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen von Gebäuden taucht bei einer fortschreitenden Reduzierung gegen Null ein gewisses „Last-Mile-Problem“ auf: Je mehr eingespart werden soll, als desto kostenintensiver und aufwendiger erweisen sich die einzuleitenden Maßnahmen. Auch steigt mit höheren Anforderungen an den baulichen Wärmeschutz d ...