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Report deckt Hintergründe zum Brand des Grenfell-Towers auf

Erst ein Jahr zuvor war die Fassade komplett saniert worden. Das mit der Sanierung beauftragte Architekturbüro Studio E hatte jedoch keine Erfahrung mit dem Bau oder der Sanierung von Hochhäusern. Bei der Dämmung setzten die Architekten nicht auf die weitverbreiteten Wärmedämmverbundsysteme, sondern auf das sogenannte "Rainscreen"-System, eine vorgehängte hinterlüftete Fassade. Die äußeren Platten aus einem Aluminiumverbund (ACM) schützen die dahinterliegende Isolierschicht vor nasser Witterung. Dabei ist diese Wetterschutzverkleidung durch eine dünne Luftschicht von der Dämmung getrennt. Der dahinter zirkulierende Luftstrom soll Kälte abhalten und das Mauerwerk trocknen. Der Nachteil des Systems: Die Hinterlüftungszone kann bei einem Brand für einen verheerenden Kamineffekt sorgen.

Wetterschutz-Paneele als Brandbeschleuniger

In Deutschland müssen seit 2010 Gebäude mit einer Höhe von über 7 Metern die vorgehängten hinterlüfteten Fassaden mit Brandsperren ausgestattet sein. Im Brandfall behindern die Brandsperren den Kamineffekt im Hinterlüftungsspalt. Der Grenfell Tower hatte keine Brandsperren. Die hohe Geschwindigkeit der Brandausbreitung erklärt sich erstens aus dem Zustrom von Verbrennungsluft über die Hinterlüftung der Fassade. Zweitens bestand die Wetterschutzverkleidung aus Aluminium-Polyethylen-Paneelen. Polyethylen (PE) schmilzt unter Wärmeeinwirkung und tropft wie eine brennbare Flüssigkeit ab. PE nimmt keine Flüssigkeit auf und brennt daher auch unter Wasserkontakt weiter. Somit ist ein Löschen mit Wasser zwecklos. Polyethylen wird auch als Öl in fester Form bezeichnet.

Während bei einem Wärmedämm-Verbundsystem der Dämmstoff direkt auf der Wand angebracht, verputzt und gestrichen wird und damit auch gleichzeitig die Außenhaut darstellt, hat die hinterlüftete vorgehängte Fassade, die beim Grenfell Tower verwendet wurde, zwischen dem Dämmstoff und der davorliegenden Wetterschutzverkleidung einen Zwischenraum. Bei einem Feuer kommt es im Zwischenraum zu einem Kamineffekt, der das Feuer noch oben saugt. Der Brand kann sich so schnell von unten nach oben ausbreiten. Die Kombination aus brennbarer Wetterschutzverkleidung und dem dahinterliegenden Luftschacht waren tödlich für die Bewohner des Hochhauses.

Verkauf von ACM-Paneelen trotz bekannter Risiken

Im Juli 2001 teste das Building Research Establishment (BRE) verschiedene Fassadenverkleidungen. Von den 14 getesteten Systemen versagten zehn; die mit Aluminium kaschierten Polyethylen-Platten (ACM) brannten am schnellsten ab, doppelt so schnell wie das zweitschlechteste Produkt und die Flammen erreichten in nur fünf Minuten eine Höhe von 20 Metern. Aus Sicherheitsgründen musste der Test abgebrochen werden. In seinem Bericht an die Regierung erklärte das BRE, dass die ACM-Paneele zu den Produkten gehörten, die am schlechtesten abschnitten. Jedoch anstatt diese nun für den Einsatz bei Hochausfassaden zu verbieten, schrieb das BRE lediglich: das Thema bedarf weiterer Untersuchung. 

Ähnliche Ergebnisse zeigten Tests, die Hersteller Arconic in 2005 durchführte. Auch mehrere Brandkatastrophen weltweit bestätigten immer wieder, welche Gefahr von den ACM-Paneelen ausgeht. Trotzdem verkaufte Arconic weiterhin ACM-Paneele, die nicht beim Bau oder der Renovierung eines Hochhauses hätten eingesetzt werden dürfen. Aufgrund strengerer Gesetze in anderen EU-Staaten wurden dort Paneele eingesetzt, die weniger brennbar waren. Da die britische Bauverordnung ACM-Paneele nicht verbot, wurde Großbritannien zur „Müllhalde für minderwertige Produkte“ (dumping ground for inferior products), hieß es später im Untersuchungsausschuss zum Grenfell Tower.

Dämmstoffhersteller in der Schusslinie

Die Dämmplatten des Grenfell Towers wurden hauptsächlich von der Firma Celotex geliefert, und ca. 5% kamen von Kingspan. Anders als die ACM-Paneele der Wetterschutzschicht bestanden die dahinterliegenden Dämmstoffplatten nicht aus Polyethylen, sondern aus Polyurethan, oft auch als PUR/PIR-Hartschaum bezeichnet. Obwohl PUR- und PIR-Platten schwer entflammbar sind, in einem Wärmestau eingeschlossen zersetzen sie sich ab einer Temperatur von ca. 300 °C. Bei höheren Temperaturen um 850°C entsteht hochgiftige und hochentzündliche Blausäure.

Der Untersuchungsausschuss zum Grenfell Tower hat aufgedeckt, dass sowohl Celostat wie auch Kingspan ihre Dämmstoffe wissentlich mit falscher Brandklassifizierung für den Einsatz an Hochhäusern verkauften. Im Oktober 2014 zeigte sich eine Brandspezialistin des Ingenieurbüros Arup „zutiefst besorgt über… die anhaltend falsche Verwendung von Prüfberichten,“ so Barbara Lane in einer Mail an den National House-Building Council. Sie warnte den NHBC: „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Verwendung von leicht brennbaren Materialien in Wohngebäuden zu einem Brandvorfall führe (an accident waiting to happen)“.

Britische Bauverordnung unzureichend

Nach der britischen Bauverordnung (Building Regulations Requirements) müssen Außenwände feuerwiderstandsfähig sein. Diese Feuerwiderstandsfähigkeit bezieht sich auf tragende Bauteile und Außenwände, jedoch nicht auf Fassaden-Paneele, die lediglich schwer entflammbar sein sollen. In einer Anhörung des Untersuchungsausschusses gaben die Architekten von Studio E zu, dass sie nicht mit Brandschutzvorschriften vertraut waren und sie nicht wussten, dass Produkte für Außenfassaden von Hochhäusern schwer entflammbar sein müssen und daher die Eignung der Produkte für die Außenfassade nicht richtig einschätzen konnten.

Obwohl nach mehreren Hochhausbränden insbesondere im Mittleren Osten in den Jahren 2010-2017 die Brandgefahr von ACM-Paneelen bekannt war, verzögerte sich eine entsprechende Änderung der Bauverordnung Jahr für Jahr. Viele Beobachter führen dies auf die Regierung von Theresa May zurück, die im Juli 2016 Premierministerin wurde. Die Regierung bemühte sich um eine Deregulierung, also den Abbau von Vorschriften und wollte den Hausbau fördern und ihn nicht durch neue Gesetze beschränken.

Fassadenskandal

Die Anhörungen zum Grenfell Tower haben gezeigt, dass alle Hersteller (Arconic, Celotex und Kingspan) ihre Produkte als mit den Bauvorschriften konform und für die uneingeschränkte Verwendung in Hochhäusern vermarkteten, obwohl sie die Vorschriften nicht erfüllten. Der Grenfell-Brand führte in Großbritannien zum „Fassadenskandal“: 11 Millionen Gebäude müssten aus Brandschutzgründen saniert werden. Eigentümer, die ihr Haus verkaufen wollten, mussten erhebliche Preiseinbußen in Kauf nehmen. Die Kosten für die Ausbesserungen wurden auf über 50 Milliarden Pfund geschätzt.

Auch fünf Jahre nach der Brandkatastrophe beim Grenfell Tower beherrscht das Thema immer noch die britische Öffentlichkeit. Im Januar 2022 forderte der Minister für Wohnungsbau Michael Gove Dämmstoffhersteller, Fassadenunternehmen und Immobilienentwickler auf, die Kosten für die Sanierung von Fassaden mit einer Höhe von über 11 Metern zu tragen und drohte rechtliche Schritte an, falls sie seiner Forderung nicht nachkämen. Bereits einen Monat zuvor hatte er sich darüber empört, dass Mercedes Benz die Firma Kingspan als neuen Sponsor der Formel 1 bekanntgab. Innerhalb einer Woche widerrief Mercedes seine Entscheidung und kündigte den Vertrag mit Kingspan. Andreas Karweger / pgl

Die Anhörungen der Grenfell Tower Inquiry sind noch nicht abgeschlossen. Sie sind unter www.grenfelltowerinquiry.org.uk abrufbar; Zusammenfassungen finden sich unter www.insidehousing.co.uk/insight.

Am 20. + 21. Oktober präsentieren auf der Advanced Building Skin  in Bern über 120 internationale Architekten, Ingenieure, Wissenschaftler und Vertreter der Bauindustrie neue Projekte und Entwicklungen im Design von Gebäudehüllen. Erstmals auf dem Programm steht das Thema Brandschutz bei Fassaden, eine Session, die vom amerikanischen Ingenieurunternehmen Jensen Hughes organisiert wird.

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