Dipl.-Ing. Herbert Kratzel ist zertifizierter Thermograf (Stufe 3) und einer von vier Kollegen, die sich bei der Wohnungsbaugesellschaft ABG (s. Infokasten) um Gebäudemonitoring und -diagnostik kümmern. Zu den Analyseverfahren, die er und sein Team einsetzen, gehört die gesamte Palette der bauphysikalischen Messtechnik: BlowerDoor-Test, Sonden, Endoskope und natürlich Thermografie. Die Hauptaufgaben umfassen die Analyse der Qualität von (neu installierten) Wärmedämmverbundsystemen (WDVS), Untersuchungen zum Mindestwärmeschutz, teilweise auch für externe Gutachten, sowie Leckageuntersuchungen (Luft und Wasser).
Als die ABG 2007 beschloss, eine Wärmebildkamera anzuschaffen, stand in erster Linie die Untersuchung neu installierter WDVS im Fokus. Bis heute ist das Herbert Kratzels wichtigste Aufgabe. „Leider stimmt es ja: Wer kontrolliert wird, arbeitet besser und genauer. Daher wollten wir uns nicht einfach blind auf die Effektivität einer Wärmedämmung verlassen – sondern wir möchten sehen, dass sie das ist. Und natürlich auch, wenn und wo sie es nicht ist.“ Zum Erstaunen des Ingenieurs gab es damals keinerlei Fachliteratur, die Grenzwerte von Fehlern eines WDVS thermografisch definierte.
Vergleichswerte für objektive Beurteilungen
Dem Team der ABG blieb also nichts anderes übrig, als selbst Verfahren zu entwickeln, die zu reproduzierbaren Ergebnissen führen: „Wir haben einfach beispielhafte Fehler in eine Wärmedämmung eingebaut, z. B. eine komplett unverfüllte 5 mm breite Fuge, oder eine nur teilweise verschlossene Fuge. Und dann haben wir uns mit der Wärmebildkamera diesen Baumangel – oder wie man heute gerne sagt: „diese Abweichung vom Sollzustand“ – angesehen. Mit dieser Kalibriermessstrecke (bei bekannten, weil über Monate geloggten, Innentemperaturen) hatten wir dann Vergleichswerte und konnten beim Auftreten ähnlicher Messergebnisse sagen: Hier stimmt etwas nicht – und wir glauben auch zu wissen, was es genau sein könnte“, erklärt Herbert Kratzel.
Mit thermografischen Scans, die unter verschiedenen Bedingungen wiederholt wurden, schuf sich das Team systematisch einen großen Erfahrungsschatz und jede Menge Vergleichsmesswerte, die bei der Einschätzung der unterschiedlichsten Auffälligkeiten und Wärmesignaturen von großem Wert sind.
Das Konzept hat sich als so erfolgreich erwiesen, dass Kratzel mittlerweile in fast jede Dämmung eine solche Kalibrierstrecke integrieren lässt. „Das würde ich vielleicht nicht in allen Städten machen, aber in Frankfurt haben wir dank der klimatischen Verhältnisse kaum Probleme mit Algen oder Rissbildung“, erklärt der Diplomingenieur. „Und unsere Partner im Bereich Dämmung scheint es zu beflügeln, denn wir haben immer öfter wirklich gute Fassaden, an denen wir kaum etwas zu bemängeln haben. Das kommunizieren wir dann gerne an das beauftragte Unternehmen – auch, damit wir beim nächsten Mal notfalls sagen können: Ihr habt doch bewiesen, dass ihr es besser könnt!“
Das Thermografie-Team der Wohnungsbaugesellschaft prüft inzwischen pro Jahr ca. 40 Gebäude mit neuen WDVS. Dabei finden sich als Nebenbefunde natürlich auch andere Auffälligkeiten, z. B. an Fenstern oder Gaubenanschlüssen oder am Dach-/Wandübergang. Von Anfang an wurden Wärmebildkameras von Flir genutzt. „Unsere erste Flir B20 HSV ist bis heute in Betrieb“, erklärt Kratzel, der besonders den hochempfindlichen und rauscharmen Detektor der Kamera schätzt.
Europäisches Forschungsprojekt „RetroKit“
Mittlerweile ist bei AGB auch eine Flir T1030sc im Einsatz – eigentlich eine Kamera für Forschung und Entwicklung. „Und genau das ist es auch, was wir damit machen“, erklärt Kratzel am Beispiel der Sanierung von zwei Mietshäusern in Frankfurt-Bockenheim. „Gemeinsam mit Partnern aus der Wissenschaft wie dem Fraunhofer Institut haben wir hier das Europäische Forschungsprojekt „RetroKit“ umgesetzt: Eine Sanierung mit Lüftungskanälen (Zu- und Abluft) bzw. nur Abluft auf der Außenseite des Gebäudes, integriert in die Dämmung. Außerdem wurden die Fenster des Hauses so ersetzt, dass die Mieter während der Renovierungsarbeiten kaum belästigt wurden: Erst, wenn von außen die neuen Fenster installiert waren, wurden von innen die alten Fenster entfernt.“ (s. auch GEB 03-2016 „Alles im Kasten – Minimalinvasive Gebäudesanierung“, Webcode 699126.)
Das ganze Projekt wurde mit kontinuierlichen Messungen von Temperatur, relativer Luftfeuchte und CO2-Gehalt begleitet. „Nach der Sanierung und Dämmung erkennt die Flir T1030sc durch ihre außergewöhnliche thermische Auflösung von 1024 × 768 Pixeln die Abluftleitungen – und das, obwohl sie die Dämmung nur um wenige Zehntel Grad erwärmen“, lobt der Ingenieur die Leistungsfähigkeit und die thermische Empfindlichkeit (NETD < 20 mK) des Messinstruments. Besonders gefällt ihm das Handling, die hohe Auflösung und die Geschwindigkeit des Prozessors. Denn um äußere Einflüsse weitestgehend zu eliminieren, arbeitet er meistens abends nach Sonnenuntergang und bei kälteren Temperaturen mit der Kamera. „Und jeder, der schon einmal nachts im Winter 150 oder mehr Thermografie-Aufnahmen von einem Gebäude gemacht hat, weiß, was es bedeutet, wenn das Abspeichern eines Bildpärchens (IR und DC) gefühlte zehn Sekunden dauert – oder gerade mal zwei.“
Die Bildverbesserungsfunktionen Ultramax und MSX spielten für ihn bei der Entscheidung für die Kamera eine untergeordnete Rolle. „Vielleicht liegt es an unserem konkreten Arbeitsbereich, aber für mich ist die reine IR-Auflösung der Kamera bereits so überzeugend, dass ich Ultramax und MSX lediglich zusätzlich einsetze. Die Basis der Analyse bildet bei mir immer das reine Infrarotbild. Ausgehend davon sind eventuelle weitere Darstellungsoptionen möglich, wenn sie einen zusätzlichen Erkenntnisgewinn bringen“, erklärt Kratzel.
Systematische Vorgehensweise erforderlich
Auf der Basis seines physikalischen Wissens und seiner Erfahrung plädiert der Ingenieur für eine systematische und akribische Vorgehensweise bei thermografischen Untersuchungen. „Nur, wenn ich weiß, welche äußeren Einflüsse die Messungen beeinträchtigen können, sind meine Thermogramme mehr als nur bunte Bildchen“, erklärt er. „In der Bauthermografie gehören zu diesen unerwünschten Einflüssen Feuchtigkeit und Wind genauso wie Sonneneinstrahlung. Wenn die Sonne nur fünf Minuten direkt auf ein Gebäude scheint, brauche ich mich danach überhaupt nicht mehr an die Arbeit zu machen, sofern ich die Effekte der Transmission messen will. Ich messe dann nämlich vor allem die Erwärmung der Fassade durch die Sonne.“
Wie sinnvoll Thermografie sein kann, stand für Herbert Kratzel nie infrage. „Das sahen anfangs nicht alle so. Einige Kollegen aus dem Hochbau sagten uns damals hinter vorgehaltener Hand: Ihr findet Fehler, die wir gar nicht gesucht haben. Wir galten damals als Besserwisser“, berichtet er und fügt hinzu: „Mittlerweile hat sich die Wahrnehmung gründlich geändert und wir werden als willkommene Unterstützung bei den verschiedensten Problemen kontaktiert.“
Flir Systems
60437 Frankfurt
Tel. (0 69) 9 50 09 00
Die Wohnungsbaugesellschaft ABG
Das Programm der Wohnungsbaugesellschaft ABG heißt „Wohnen für alle“. Mit rund 51 000 Wohnungen bietet der Immobilienkonzern in Frankfurt am Main Wohnraum für fast ein Viertel der Stadtbevölkerung. Zu dem Unternehmen gehören verschiedene Tochterunternehmen wie die Frankfurter Aufbau AG (FAAG) sowie verschiedene Joint Ventures. Der ABG geht es immer auch um Innovation, getreu dem Motto „Wir sind die Passivhausmacher.“
Dipl.-Ing. Herbert Kratzel ist Abteilungsleiter TGA der ABG und FAAG, außerdem leitet er als einer von drei Geschäftsführern die ABGnova GmbH, eine Gemeinschaftsgründung der ABG mit dem Frankfurter Energieversorger Mainova.
Ausbildung zum Thermograf
Mit Ausbildung und Zertifizierung ist das Thermografie-Team der ABG für seine Aufgaben gerüstet. Wie seine drei Kollegen hat Herbert Kratzel zunächst einen Einführungskurs besucht und sich als Thermograf nach den Stufen 1 und 2 zertifizieren lassen. Für Kratzel und einen Kollegen folgte auch noch die höchste (dritte) Zertifizierungsstufe und in der Folge seit drei Jahren jeweils im Wintersemester ein kleiner Lehrauftrag für Bauthermografie an einer Hochschule.