Oftmals liegt im Blick zurück ein viel versprechender Lösungsansatz für künftige Herausforderungen. Ein solcher Gedanke könnte jedenfalls den Ausschlag für die Entwicklung der Co2mfort-Fassade gegeben haben, deren Basisidee Rückgriff auf das Wissen der Vergangenheit nimmt – das Doppelfenster. Solarlux hat dieses Prinzip in eine Doppelfassade überführt, die wieder den Nutzer in den Vordergrund stellt und eine einfache Bedienung ermöglicht (Abb. 1). Die äußere Glasfassade hält Wind und Wasser ab, während die innere Fassade als thermische Trennung zwischen innen und außen fungiert (Abb. 2). Beide Fassadenebenen lassen sich, unabhängig voneinander, variabel öffnen und vollständig auffalten, so dass sich die gewünschte Innenraumtemperatur manuell von den Nutzern regeln lässt.
Interaktives Gebäude
Als nun in Holland der Aufbau einer neuen Niederlassung anstand, nutzte Solarlux die Gelegenheit und konzipierte ein Verwaltungsgebäude mit passivem Klimakonzept, das ohne mechanische Lüftungsanlage (Motoren, Lüftungskanäle, Stellklappen, Steuerungs-technik) auskommt und stattdessen maßgeblich auf öffenbare Fenster setzt.
Eine primäre wärmegedämmte Fassadenebene, bestehend aus Holz-Glas-Faltwänden vom Typ SL 65 mit einer Flügelhöhe von drei Metern, bildet den Raumabschluss. Davor befindet sich ein rahmenloses, raumhohes Schiebe-Dreh-System vom Typ SL 25 XXL als ungedämmte Glasebene. Die doppelte Fassade bildet so einen begehbaren Fassadenkorridor, der das Gebäude auf drei Seiten umhüllt.
Lüftung und Klima können von den Nutzern spezifisch und individuell gesteuert werden. Die Möglichkeiten reichen von einer komplett geschlossenen Fassade über unzählige Varianten der Teilöffnung bis hin zum Arbeiten „im Freien“ (Abb. 3). So kann, anders als bei herkömmlichen Fenstern, der Luftstrom durch versetzte Flügelstellung der inneren und äußeren Fassade (Diagonalöffnung) exakt und individuell gesteuert werden.
Energiesparen als Gebäude-Konzept
Damit das Gebäude zu jeder Jahreszeit optimal und weitgehend CO2-neutral temperiert ist, werden zur Heizung und Kühlung regenerative Energiequellen genutzt. Aus einer Geothermie-Anlage wird über das gesamte Jahr etwa 15 °C warmes Wasser gewonnen. Eine Wärmepumpe bringt das Wasser auf das notwendige Temperaturniveau. Zusätzlich wird die Abwärme des Serverraumes genutzt und in das Heizungssystem eingespeist.
Die gesamte Heizung beruht auf einem Niedertemperatursystem, das alle Geschossdecken und die Fußbodenheizung der Ausstellungshalle durchströmt. Im Sommer wird das kühle Wasser aus den Erdwärmesonden genutzt, um alle massiven Bauteile auf Raumtemperatur herunterzukühlen. Im Gegensatz zu einer Klimaanlage, die große Luftmengen transportieren muss und Zugerscheinungen verursacht, benötigt dieses System kein Rückkühlwerk und erreicht einen signifikant besseren thermischen Komfort, weil keine kalte Luft in den Raum eingeleitet wird.
So entfallen die Installations- und Wartungskosten für eine aufwendige Lüftungs- und Klimatisierungsanlage; darüber hinaus wird keine Grundfläche für Installationen verbraucht. Der Eintrag grauer Energie, der Energieverbrauch und die CO2-Emissionen für Heizen und Kühlen fallen deutlich niedriger aus. Und, weil Wasser ein besseres Übertragungsmedium für Wärme ist, werden nur kleine Pumpen statt großer Ventilatoren benötigt, deren Antriebsstrom zum Teil über eine Photovoltaik-Anlage auf den Atriendächern gewonnen wird.
Energiegewinn entsteht auch durch Energieeinsparung. Anstatt auch tagsüber Kunstlicht einschalten zu müssen, reicht das üppig vorhandene Tageslicht zur Ausleuchtung der Arbeitsplätze aus. Die Bauteilaktivierung macht abgehängte Decken entbehrlich, was größere Raumhöhen mit besserer Tageslichtausbeute und geringeren Stromkosten ermöglichte.
Für die Be- und Entlüftung des Gebäudes wird die steife holländische Brise genutzt, wobei die Architektur die natürliche Luftströmung noch unterstützt. Zwei Pultdächer sind in Hauptwindrichtung angeordnet und werden vom ständig vorherrschenden Wind überströmt. Durch den Tragflächeneffekt entsteht ein Unterdruck, der die verbrauchte Luft abführt.
Das Konzept der Co2mfort-Fassade sorgt für passive Solargewinne, die Gebäudehülle fungiert als Solar-Luft-Kollektor. Im Winter kann die durch Sonnenwärme aufgeheizte Luft des Fassadenzwischenraums zur Raumheizung genutzt werden. Wärmestau wird durch flexibles Öffnen der primären beziehungsweise sekundären Fassadenebene verhindert.
Erste Zwischenbilanz
Obwohl die Datenaufzeichnung (Verbrauchswerte, jahreszeitliche Temperaturverläufe, Sauerstoffsättigung der Raumluft usw.) in einem Gemeinschaftsprojekt mit der Fassadenforschungsgruppe der TU Delft und der Firma Transsolar langfristig angelegt ist, stimmt das vorläufige Zwischenergebnis nach einem Jahr Nutzung bereits zuversichtlich: Die Co2mfort-Fassade spart bei allen Energieaufwendungen. In Holland wird in Bürogebäuden im statistischen Durchschnitt mit 2,8 m3 Gasverbrauch pro Kubikmeter Gebäude im Jahr gerechnet, was bei dem Verwaltungsbau in Nijverdal rechnerisch einen Verbrauch von 22890 m3 ergab. Tatsächlich strömten im ersten Jahr im Solarlux-Co2mfort-Office lediglich 1800 m3 durch den Gaszähler. Die langfristige Erwartung liegt bei weniger als 500 m3 pro Jahr. Der Stromverbrauch für Beleuchtung lag mit 6 kWh/m2 bei weniger als einem Drittel des Durchschnittsverbrauchs (20 kWh/m2).
Gemeinsam mit der TU Delft beobachtet und untersucht der Bauherr auch das Nutzerverhalten der Mitarbeiter, wobei sich auch positive Tendenzen abzeichnen. Indikator dafür ist das als „Meckerkasten“ konzipierte Berichtswesen zur Bedienung und Nutzung der Co2mfort-Fassade und zur Qualität des Raumklimas. Er ist seit Monaten leer …