Wir sprechen nicht von einem üblichen Bauvorhaben, wenn sich die Bauherrschaft bereits vor dem ersten Spatenstich auf die Fahnen schreibt, das erste ganzheitlich nachhaltige Wohnprojekt in Deutschland auf den Weg bringen zu wollen. Zumal dieses Pilotprojekt nicht auf einer grünen Wiese entstehen soll, sondern auf einem schmalen und länglichen Baugrundstück inmitten von Stuttgart-Feuerbach. Dort steht bislang noch ein in die Jahre gekommenes Wohnhaus, unmittelbar daneben befindet sich ein kleiner Park, der früher einmal ein Friedhof war. Also startet das Projekt zunächst mit einer Minusbilanz, nämlich dem Rückbau des vorhandenen Gebäudes – will heißen, dem Verlust an Grauer Energie. Man darf also gespannt sein, mit welcher Strategie sich die Bauherrschaft, die eigens für das Projekt gegründete TRIQ GmbH, wieder an die Pole-Position im Rennen um den Nachhaltigkeitspokal katapultieren möchte.
Die Ideen dafür sind mannigfaltig, und die Öffentlichkeit konnte sich im letzten Herbst auf einer kleinen Ausstellung in dem walmgedeckten Altbau, dessen Tage nun gezählt sind, über das Projekt informieren. Es ruht auf den drei Säulen („TRI“) Ökologie, Ökonomie und Soziokulturell, überschrieben von dem Anspruch an Qualität („Q“), eben nun: TRIQ.
Im Detail umfasst das TRIQ-Konzept
Eine Besonderheit ist neben der angestrebten Autarkie bei der Energie- und Wasser-/Abwasserversorgung die Bauweise: Alleine die Stahlgründung mit Spundwänden ist ein außergewöhnliches Vorhaben für ein Wohngebäude, und für die Holzmassivbauweise hat man sich ein neues Bausystem erdacht, das dem Lego-Prinzip angelehnt ist: Die patentierten Massivholzsteine („TRIQBRIQ“) setzen sich aus Schwachholz-Kanthölzern zusammen und werden leimfrei mittels Dübel verbunden. Im Prinzip könnten die Holzbausteine in jeder Schreinerei hergestellt werden, doch wird derzeit eine Maschine entwickelt, um die Holzbausteine industriell herstellen zu können.
Die 30 cm dicken Massivholzwände erhalten innenseitig einen Lehmputz und werden außenseitig mit 200 mm Holzfaserplatten gedämmt. Den Abschluss bildet eine hinterlüftete Fassade aus Korkplatten oder einer Textilbespannung (Gesamtdicke: ca. 60 cm, U-Wert: 0,134 W/(m²K)). Beim Dach ist die Konstruktionsvariante (Massivholz oder klassischer Dachstuhl) noch nicht abschließend geklärt.
Sowohl die konstruktiven Details als auch die Ausgestaltung der Anlagenkomponenten für das Versorgungskonzept hängen davon ab, welcher energetische Standard letztlich umgesetzt wird – angestrebt ist das Niveau KfW-Effizienzhaus 40 plus.
Max Wörner, der Geschäftsführer der TRIQ-GmbH, gab der GEB-Redaktion ein kurzes Interview zum Konzept und dem aktuellen Stand des Stuttgarter Pilotprojektes und stellte sich den Fragen von Claudia Siegele:
Claudia Siegele: Das TRIQ-Pilotprojekt in Stuttgart-Feuerbach rühmt sich, das erste ganzheitlich nachhaltige Wohnprojekt in Deutschland zu sein. In dem dreigeschossigen Mehrfamilienhaus sind 13 Wohneinheiten untergebracht. Die kleineste beschränkt sich auf 24 m², das Penthouse im 3. OG kommt auf über 250 m². Zu einer nachhaltigen Strategie gehört auch ein verantwortungsbewusster Umgang mit der wertvollen Ressource bebaubarer Flächen. Im 3. OG hätten zehn Ihrer kleinsten Wohnungen Platz gehabt. Sie machen ein Luxuspenthouse daraus. Wie passt das zusammen?
Max Wörner: Wohnraum ist deutschlandweit Mangelware. Daher ist es uns wichtig, das gesamte Spektrum des Wohnens in unserem Gebäude abzubilden. Es gibt geräumige Familienwohnungen, aber auch kleinere Unterkünfte für den urbanen Singlehaushalt. Wir sind uns bewusst, dass das Penthouse in diesem Vergleich überdimensioniert wirkt, aber es ist betriebswirtschaftlich nötig, um das gesamte Projekt zu tragen. Mit Blick auf die gesellschaftliche Verantwortung rufen wir daher für das Penthouse einen höheren Quadratmeterpreis auf als für die restlichen Wohnungen. Damit erzeugen wir eine soziale Umverteilung innerhalb des Gebäudes und ermöglichen mittelfristig, dass weiterer bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden kann.
Sie legen bei den Baustoffen großen Wert auf recyclebare und nachwachsende Rohstoffe. Konsequenterweise entsteht das Pilotprojekt aus massiven Holzbausteinen. Wie ausgereift ist dieses Konzept? Können Sie das etwas genauer erklären? Gibt es schon gebaute Beispiele und wer stellt dieses Legoprinzip her? Wo liegen die Kosten pro m²?
Richtig – die Kreislauffähigkeit von Rohstoffen ist ein Kernelement unseres Konzepts. Daher haben wir das Holzbau-System TRIQBRIQ entwickelt. Das patentierte System ermöglicht es, aus Schwachhölzern unterschiedlich große Holzbausteine zu fertigen. Dank des geringen Durchmessers der einzelnen Elemente ist es dabei möglich, Schad- und Sturmholz baulich zu verwenden. Die fertigen Bausteine können dann ähnlich dem Legoprinzip gestapelt und durch Holzdübel miteinander verbunden werden. Das System ist so einfach, dass jede Schreinerei die Einzelteile problemlos produzieren kann. Auf diesem Weg haben wir auch ein erstes Mustereck auf unserem Bestandsgrundstück gebaut. Inzwischen entwickeln wir aber eine Maschine, die eine Massenproduktion ermöglicht. Diese ist voraussichtlich Anfang Mai fertiggestellt, und ab dann läuft alle 50 Sekunden ein neuer TRIQBRIQ vom Stapel. Das entspricht etwa 220.000 Holzbausteinen im Jahr – oder in anderen Worten 13.000 m² Wohnfläche. Bei dieser Produktionsmenge ergeben sich ca. 600 Euro Kosten pro Quadratmeter Rohbau. Das ist etwa 40 % billiger als Stahlbeton.
Gegenüber Stahlbeton weist der Baustoff Stahl beim Herstellungsprozess ein deutlich schlechteres Treibhausgaspotenzial auf. Sie gründen das Gebäude auf einer Stahlkonstruktion – warum?
Stahl kann unbegrenzt oft wiederverwendet werden und ermöglicht einen sortenreinen Rückbau. Sowohl aus Stahl als auch aus unseren TRIQBRIQs kann somit immer wieder neuer Wohnraum entstehen. Das ist mit Stahlbeton unmöglich. Außerdem gibt es im Rahmen der Nationalen Wasserstoffstrategie inzwischen schon Stahlwerke, die komplett mit grünem Wasserstoff betrieben werden. Durch diese Technologie verbessert sich das Treibhausgaspotenzial von Stahl natürlich enorm.
Eines Ihrer ambitionierten Ziele lautet unter anderem, dass Sie zu 100% recycelbare und zu 80% nachwachsende Baustoffe verwenden. Wie realistisch ist das in Anbetracht zahlreicher Verbundbaustoffe, Klebemassen und hinsichtlich mancher Abdichtungsdetails, z.B. im erdberührten Bereich?
Eben, weil wir natürliche Baustoffe verwenden, ist es uns möglich, auf Verbundbaustoffe und Klebemassen zu verzichten. Früher wurden Häuser mit nur 15 verschiedenen Rohstoffen gebaut. Heute sind es über 1.500. Der Fokus unseres Planungsprozesses liegt daher auf Reduktion. Dabei haben wir festgestellt, dass vor allem natürliche Rohstoffe super miteinander interagieren und oft auch optimale energetische Werte mit sich bringen – ganz ohne künstliche Zusätze. So können wir z.B. auf umweltschädliches Abdichtmaterial im erdberührten Bereich verzichten, da unsere Holzbauteile dank unseres Schraubpfahlfundaments keine Berührung zum Boden haben. Darüber hinaus gibt es viele spannende natürliche Produktinnovationen. Lignin ist z.B. ein klasse Ersatz für Plastik.
Das an PV-Modulen ausgerichtete Energiekonzept ist auf eine ganzjährige autarke Versorgung ausgelegt. Reichen denn hierfür die Flächen? Und wie lösen Sie die langfristige Speicherproblematik über die Wintermonate?
Das gesamte Dach und Teile der Balkone bilden unsere PV-Anlage, die einen Ertrag von rund 75.000 kWh/a bringt. Sobald das Gebäude einen Energieüberschuss verzeichnet, wird grüner Wasserstoff produziert. Dieser kann bei wenig Sonne dann in Strom zurückgewandelt werden. Die Abwärme wird hierbei natürlich ebenfalls verwendet, indem sie in einen entsprechenden Pufferspeicher geleitet wird. In Kombination mit einer Luft-Wasser-Wärmepumpe und weiteren Speichermöglichkeiten können wir so einen energieautarken Betrieb sicherstellen.
Wie teuer ist dieses Pilotprojekt in Euro pro Quadratmeter kalkuliert? Können Sie von Förderprogrammen profitieren?
Wir rechnen mit Quadratmeterpreisen minimal über dem Durchschnitt für Stuttgart-Feuerbach. Bei Pilotprojekten gibt es natürlich Gesprächsbedarf mit den entsprechenden Ämtern. Kommt es hier zu Verzögerungen, kann das gesamte Projekt schnell teurer werden. Da wir unser Holzbau-System in die breite Masse bringen wollen, suchen wir vor allem dafür nach entsprechenden Förderprogrammen. Speziell auf EU-Ebene gibt es hier Initiativen, die gut zu unserem Produkt passen.
Und in 100 Jahren kann man das Gebäude komplett recyceln und kompostieren? Garantieren Sie das?
Ja! Das ist logische Konsequenz aus unserer Bauweise. Wir überprüfen alle Materialien, die wir verwenden, auf deren Kreislauffähigkeit. Im Fokus steht hierbei die direkte Wiederverwendbarkeit. Da wir vollständig auf Verbundstoffe verzichten, kann man einen Stahlträger oder eine Reihe TRIQBRIQs aus einem alten Haus entnehmen und direkt in ein neues Gebäude integrieren. Gebäude müssen ab sofort nicht nur klimaneutral gebaut werden, auch deren Rückbau darf keine Umweltprobleme und gesamtgesellschaftlichen Kosten verursachen.
Herr Wörner, vielen Dank für das Gespräch!
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