Gerade diagnostiziert die Sozialwissenschaft wieder einmal eine starke Sehnsucht nach den guten alten Zeiten, mit ihren vermeintlich einfachen und klaren Verhältnissen. Ich bin auch nicht ganz gefeit gegen Nostalgie. Zum Beispiel spüre ich als ehemaliger Science-Fiction-Schwerstabhängiger aktuell ein wenig Sehnsucht nach den Zeiten, in denen Mondsonden und Mondfähren noch ordentlich und aufrecht auf dem Erdtrabanten landen konnten.
Odysseus, die erste von einem privaten Unternehmen gestartete Sonde, schwebte in der Nacht zum 23. Februar 2024 nach Plan über dem lunaren Südpol ein, blieb aber wohl mit einem Bein an einem Felsbrocken hängen und liegt jetzt auf der Seite. Einen Monat zuvor hatte bereits die japanische Sonde SLIM („Smart Lander for Investigating Moon“) den Trabanten erreicht. Glänzte dabei. Jedoch nur real, in ihrer Hitzeschutz-Goldfolie, nicht metaphorisch, denn … nun ja: SLIM ist auf den Kopf gefallen. Erst war von einer Punktlandung die Rede, dann von Problemen mit der Stromversorgung, die ja über Solarpanel funktionieren soll. Aber die zeigen jetzt die meiste Zeit in das Dunkel des Alls statt zur Sonne.
Ach ja, Apollo 11 dagegen, seufz, „a small step for man, one giant leap for mankind.“ Die Höllenflammen, die aus den Triebwerken der Saturn V schossen, ließen einen nicht an CO2 denken, an einen kochenden Planeten, sondern an eine Zukunft im All. Warum auf dem Mond halt machen? Was ist dem Mars? Wie sieht es jenseits des Sonnensystems aus? Leider hat dieser Traum heute Risse und außerdem Risiken und Nebenwirkungen.
David Wallace-Wells beschreibt sie in seinem Buch „Die unbewohnbare Erde“. Die Elon Musks der Welt schwadronieren von technischem Fortschritt, mit dem wir das Klima wieder kühlen oder eben den Weltraum besiedeln. Und die nicht so dollarschweren Gläubigen plappern es nach. Wallace-Wells zitiert die Autorin Christina Nichol. Sie spricht mit einem jungen Familienmitglied, das in der Tech-Branche Kaliforniens arbeitet, über den Klimawandel. Kein Grund zur Beunruhigung, sagt der Jungspund. Geht die Erde vor die Hunde, leben wir halt alle in Raumschiffen, erzeugen Nahrung, Wasser, Sauerstoff, indem wir die Atome und Moleküle nach Bedarf umgruppieren. „Ich will aber nicht in einem Raumschiff leben!“, sagt sie. Der junge Mann sieht sie mit großen Augen an, ehrlich überrascht. In seinem Arbeitsgebiet, so Nichol, sei er offenbar noch nie jemandem begegnet, der das nicht wolle.
Der reichste Mensch der Welt lässt sich seinen Traum von Mond- und Marskolonien einiges kosten. Wie viele andere Tech-Milliardäre scheint Musk den Kopf nur eigentlich nicht im All stecken zu haben, sondern sehr tief im Sand. Allerdings aus eigenem freiem Entschluss. Nicht verunfallt wie SLIM, die ihn zwar nicht in den Sand, dafür in den Mondstaub gerammt hat, wo er wahrscheinlich sehr lange bleiben wird. Das könnte auch eine leise Botschaft an uns alle sein: Die Sache mit den spektakulären Weltraumabenteuern ist vorbei, wir sollten uns endlich um die Erde kümmern. Und Nostalgie ist was fürs Wochenende. ab