Gestern, am 21. September, war sich das Plenum mit überwältigender Mehrheit einig: Applaus gab es nur für den bedarfsbasierten Energieausweis. Doch das eindeutige Votum hat einen kleinen Haken. Abgestimmt haben nicht die Parlamentarier in Berlin, sondern rund 1000 Energieberater und an Energieberatung und am Ausstellen von (bedarfsbasierten) Energieausweisen Interessierte. Sie waren der Einladung von Hottgenroth Software und ETU Software zum Energieberaterforum 2006/07 gefolgt, dessen exklusives Ambiente der alte Plenarsaal des Deutschen Bundestages in Bonn bildete. Quasi ein Bundestag im Bundestag.
„Der Energieausweis (DIN V 18599) und seine Zukunftschancen“ lautete der Untertitel des Energieberaterforums. Moderiert von Prof. Dipl.-Ing. Arch. Armin D. Rogall, zoomten sich die Referenten aus dem globalen Blickwinkel eines Weltbeobachters (Prof. Dr. Dr. Franz Josef Radermacher) über die Normung (Prof. Dr.-Ing. Bert Oschatz, Prof. Dr.-Ing. Rainer Hirschberg, Prof. Dr.-Ing. Joaquín Díaz) die Chancen für Gebäudeeigentümer und -nutzer (Michael Harjes) bis in die „politischen Niederungen“ (MdB Bärbel Höhn).
Balance oder Zerstörung?
Die globale Situation ist kritisch gekennzeichnet durch eine hohe Überbevölkerung, zu weitgehende Ressourcennutzung und Umweltverschmutzung sowie zu hoher Beschleunigung aller Innovationsprozesse. Radermacher diskutierte in seinem fesselnden Vortrag bestehende Schwierigkeiten und Entwicklungslinien und einen neuen globalen Gesellschaftsvertrag mit dem Ziel einer ökosozialen Marktwirtschaft. Sein mahnender Appell: Es ist schon fast zu spät, um die Probleme noch zu bewältigen. Zwar ist für eine nachhaltige Gesamtlösung ein umfassender globaler Ansatz erforderlich, Energieberater können und müssen zu diesem aber mit wichtigen Elementen beitragen: Energieeffizienz steigern, erneuerbare Energien einsetzen, Energie einsparen.
DIN V 18599 wir überarbeitet und erweitert
Wenngleich das allgemeine Interesse an DIN V 18599 zur energetischen Gebäudebewertung enorm hoch ist, angewendet haben sie bisher nur sehr wenige. Ohne Profisoftware und Routine ist das momentan auch noch ein teures Unterfangen. Im Schnitt haben die Teilnehmer am dena-Feldversuch für Nichtwohngebäude einschließlich der Datenerfassung etwa 150 Ingenieurstunden benötigt, wie Oschatz berichtete. Erwartungsgemäß wurden über den Feldversuch auch etliche Fehler in der Norm entdeckt. Aktuell wird deswegen über eine komplette Neuausgabe diskutiert. Alternativ – aber weniger handlich – wäre ein Korrekturblatt Teil 100.
Außerdem wird über Vereinfachungen für die praktische Anwendung bei der Zonierung und Datenerfassung nachgedacht. Geplante weitere Änderungen betreffen nicht abgebildete Techniken wie Bauteilaktivierung, bestimmte Kälteerzeuger und PV-Anlagen ohne Netzeinspeisung. Detailverbesserungen seien im Bereich Heizungsanlagen für den instationären Betrieb und den hydraulischen Abgleich vorgesehen, so Oschatz. Außerdem ist ein Teil 11 „Bedarfs-Verbrauchsabgleich“ in der Bearbeitung, weil zumindest im Wohnungsbau Bedarf und Verbrauch systematische Abweichungen aufweisen. Das ist problematisch, weil die Verwendung von Bedarfswerten dann ohne Kompensation zu unrealistischen Energieeinsparversprechen im Vorher-Nachher-Vergleich führen (kann).
Hirschberg warnte allerdings davor, dass es nahezu unmöglich sei, diesen Abgleich so herzustellen, dass eine sichere Projektion möglich ist. Dass man bei den vielen Stellschrauben und Parametern genau die erwische, die auch ursächlich sind, sei utopisch. Díaz wies darauf hin, dass grundsätzlich für die richtige Investitionsentscheidung eine gesamtwirtschaftliche Lebenszyklusbetrachtung erforderlich ist. Die Energieeinsparverordnung allein biete dafür keinen ausreichenden Ansatz. Voraussetzung für geringe Gesamtkosten seien zudem integrierte Softwarelösungen und integrierte Gebäudeplanung zum frühen Zeitpunkt jeder Planung bzw. Änderungsplanung.
Viel Potenzial für Berater
Potenziale zum Energieeinsparen sind jedenfalls im großen Stil möglich. Hirschberg zitierte eine eigene Untersuchung für Nichtwohngebäude in Deutschland, die 123 TWh/a Primärenergieeinsparung bzw. 4 Mrd. Euro/a bei Investitionskosten von rund 20 Mrd. Euro ausweist. Das ist weniger als der Devisenmehraufwand für Energieimporte zwischen 1995 und 2005 im direkten Jahresvergleich. Kumuliert wurde seit dem ein Vielfaches für Energie ins Ausland abgeführt.
„Können wir uns Geiz eigentlich noch leisten?“, fragte Harjes in seinem Referat in Ahnlehnung einen schon zum Volkssport ausgearteten Werbeslogan. Seine klare Antwort lautet: Nein. Denn die steigenden Energiepreise zwingen zum sofortigen handeln. Anderenfalls sein es absehbar, dass immer mehr Bürger ihre Nebenkosten nicht mehr bezahlen können. Beispielsweise müssen sich Mieter einer Öl-beheizten 130-m²-Wohnung laut Deutscher Mieterbund auf eine durchschnittliche Nachzahlung von 433 Euro gefasst machen. Bei Steigerungsraten im gleichen Tempo ist eine Wohnung mit hohem Verbrauch in wenigen Jahren nicht mehr zu bezahlen.
Betätigungsfelder für Energieberater sieht Harjes aber auch bei der Qualitätssicherung von Neubauten und Modernisierungen. Eigentümer, Bauträger, Ausführende und Banken müssten eigentlich ein vitales Interesse daran haben, das qualitativ hochwertig gebaut wird. Die Kosten für einen Blower-Door-Test stehen beispielsweise in keinem Verhältnis zu den Sanierungskosten, die erforderlich sind, wenn Baumängel erst nach Abschluss aller Arbeiten während der Nutzung auffallen.
Was muss die Politik tun?
Die EnEV schnell auf den richtigen Weg bringen und anschließend für eine Anwendung sorgen, da waren sich alle Referenten sicher. Wurde bisher der Streit um „Bedarf und/oder Verbrauch“ als nationale Angelegenheit betrachtet, könnte auf den letzten Metern der Blick zu den 25 europäischen Nachbarn hilfreich sein. Höhn berichtete: Zehn Mitgliedstaaten favorisieren momentan Bedarfsausweise, zwei Verbrauchsausweise und in 13 wird über Mischlösungen gesprochen. Interessant ist der Kurswechsel von Dänemark, wo auf Basis einer nationalen Regelung schon seit einem Jahrzehnt Erfahrungen mit obligatorischen Energieausweisen vorliegen: 1996 hatte man zunächst verbrauchsbasierte Energieausweise vorgeschrieben, jetzt werden in Dänemark wegen enormen Abweichungen Bedarfsausweise Pflicht.
Um den Einsatz erneuerbarer Energien zu forcieren, ist außerdem die zügige Umsetzung eines regenerativen Wärmegesetzes als Ergänzung bzw. teilweise als Ersatz der bisherigen Förderinstrumente erforderlich, so Höhn.
Neue Impulse hat der „Energieberater-Bundestag“ jede Menge gebracht. Eine Nachfolgeveranstaltung im nächsten Jahr wurde bereits angekündigt. Themen dürfte es jedenfalls genügend geben. GLR