Das RWI erhöht seine Prognose des deutschen Wirtschaftswachstums für das Jahr 2012 gegenüber Dezember 2011 von 0,6 auf 1,0%; für 2013 erwartet es 2,0%.
Wegen der schwachen Nachfrage der europäischen Handelspartner und der Verunsicherung der Unternehmen durch die europäische Staatsschuldenkrise dürfte das BIP im ersten Halbjahr nur wenig steigen, dann dürfte der Aufschwung aber an Kraft gewinnen. Arbeitslosenquote und Inflationsrate dürften zurückgehen, die Lage der öffentlichen Haushalte wird sich voraussichtlich leicht verbessern. Auch die weltwirtschaftliche Konjunktur dürfte sich wieder beleben. Der erneute Anstieg des RWI/ISL-Containerumschlag-Index im Februar deutet aktuell auf eine weiterhin kräftige Zunahme des internationalen Warenhandels hin.
Die deutsche Konjunktur hat sich im Jahresverlauf 2011 spürbar abgekühlt. Zur Verlangsamung trug vor allem das sich verschlechternde außenwirtschaftliche Umfeld bei. Allerdings wuchs zuletzt auch die inländische Verwendung kaum noch. Jedoch scheint Deutschland nur eine vorübergehende Schwächephase zu durchlaufen. So blieb der jüngste Produktionsrückgang weitgehend auf das Verarbeitende Gewerbe beschränkt, während die Dienstleistungsproduktion fast ungebremst expandierte. Da inzwischen der Welthandel allem Anschein nach wieder kräftiger ausgeweitet wird und sich die Stimmung der Unternehmen verbessert hat, dürfte die Industrieproduktion wieder zunehmen. Dafür spricht auch, dass die Beschäftigung bis zuletzt ausgeweitet wurde.
Im Prognosezeitraum 2012/2013 dürfte sich die Konjunktur beleben. Zwar überwiegen vorerst noch belastende Faktoren, wie die schwache Nachfrage der europäischen Handelspartner und die Verunsicherung der Unternehmen durch die europäische Staatsschuldenkrise. Im ersten Halbjahr dürfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) daher nur wenig steigen. Bei einem sich bessernden außenwirtschaftlichen Umfeld nehmen die Ausfuhren aber Fahrt auf. Zudem sind die internen Auftriebskräfte intakt. Die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte werden voraussichtlich deutlich steigen, da die Beschäftigung weiter wächst und die Löhne kräftiger angehoben werden als zuletzt. Dies wirkt positiv auf die privaten Konsumausgaben und die Wohnungsbauinvestitionen, wobei letztere auch von den niedrigen Zinsen begünstigt werden. Alles in allem erwartet das RWI, dass das BIP 2012 im Jahresdurchschnitt um 1,0% steigen wird. Im kommenden Jahr dürfte der Aufschwung mit wachsender Kapazitätsauslastung die Ausrüstungsinvestitionen und den Wirtschaftsbau erfassen. Zudem dürfte die Außenwirtschaft bei lebhafterer Weltkonjunktur wieder einen Beitrag zum Wachstum leisten. Das BIP dürfte vor diesem Hintergrund um 2,0% zunehmen.
Arbeitslosenquote und Inflationsrate dürften sinken
Der Beschäftigungsaufbau wird sich in diesem Jahr voraussichtlich vorübergehend verlangsamen. Die Zahl der Erwerbstätigen dürfte um 290 000 im Verlauf dieses Jahres und um nochmals 340 000 im nächsten Jahr zunehmen. Ein Teil des Zuwachses wird wohl aus der „Stillen Reserve“ stammen. Diese umfasst Personen, die unter bestimmten Bedingungen bereit wären, eine Arbeit aufzunehmen, sich aber bei der Arbeitsverwaltung nicht als arbeitslos melden, wie beispielsweise Selbstständige, Hausfrauen, Studenten, Schüler und Rentner. Die Arbeitslosigkeit wird also unterproportional abnehmen (175 000 bzw. 250 000 im Jahresverlauf). Im Jahresdurchschnitt werden die Arbeitslosenquoten 6,6 (2012) bzw. 6,1% (2013) betragen.
Die Inflationsrate wird voraussichtlich sinken, da die aus dem jüngsten Anstieg der Rohstoffpreise resultierenden Wirkungen auf das Preisniveau auslaufen dürften. Zugleich dürfte sich aber die Kerninflation (Inflationsrate berechnet ohne Preise für Energie und Nahrungsmittel) erhöhen, da die Lohnstückkosten weiter steigen und aufgrund der expansiven Geldpolitik reichlich Liquidität vorhanden ist. Das RWI erwartet eine Inflationsrate von 2,2% für dieses und eine von 1,9% für das kommende Jahr, womit die Preissteigerungen über dem Durchschnitt der Jahre seit Beginn der Währungsunion lägen.
Die Lage der öffentlichen Haushalte wird sich im Prognosezeitraum voraussichtlich leicht verbessern. Das Budgetdefizit des Staates dürfte in diesem Jahr von 25 auf 17 Milliarden Euro sinken (1,0% bzw. 0,7% in Relation zum BIP). Für das kommende Jahr ist mit einem Rückgang auf 8 Milliarden Euro (0,3%) zu rechnen.
Weltwirtschaft: Trotz schwieriger Finanzmarkt-Lage Anlass zu Optimismus
Die internationale Konjunktur hat sich zum Jahresende 2011 deutlich abgekühlt. Insbesondere die Verschärfung der Staatsschuldenkrise im Euro-Raum strahlt auf andere Regionen der Welt aus. Allerdings ist die Situation in den einzelnen Regionen recht unterschiedlich: In den meisten europäischen Ländern sank die Produktion im Schlussquartal 2011. Dort, wo aufgrund der Staatsschuldenkrise drastische Konsolidierungs- und Restrukturierungsprogramme aufgelegt wurden, brach die Produktion regelrecht ein. Dagegen hat in den USA der Aufschwung bis zuletzt an Kraft gewonnen, und in den asiatischen Ländern nahm die Industrieproduktion weiterhin deutlich zu. In Lateinamerika verlangsamte sich in wichtigen Ländern die Expansion in der zweiten Hälfte des Jahres 2011.
Die Lage an den Finanzmärkten ist zwar weiterhin schwierig, jedoch gibt es hier Anzeichen einer Beruhigung. Dies gibt Anlass zu Optimismus. Inzwischen deuten auch viele Indikatoren darauf hin, dass sich die weltwirtschaftliche Aktivität seit dem November 2011 wieder belebt hat. So ist der RWI/ISL-Containerumschlag-Index im Februar erneut gestiegen, was auf eine weiterhin kräftige Zunahme des internationalen Warenhandels hindeutet. Saisonbereinigt stieg der Indexwert auf 111,9, nach 111,2 im Januar. Damit hat sich der Index seit November 2011 um 4% verbessert. In den Index gehen die vom Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) im Rahmen seiner Marktbeobachtung fortlaufend erhobenen Angaben von 72 internationalen Häfen ein, die ungefähr 60% des weltweiten Containerumschlags tätigen. Da der internationale Handel im Wesentlichen per Seeschiff abgewickelt wird, lassen diese Containerumschläge zuverlässige Rückschlüsse auf die Entwicklung des Welthandels zu.
Gedämpfte Expansion in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften
Allerdings gewinnen auch belastende Faktoren an Gewicht. So hat sich Rohöl in der jüngsten Zeit spürbar verteuert, insbesondere wohl aufgrund des sich zuspitzenden Konflikts mit dem Iran. Steigende Rohstoffpreise haben dazu geführt, dass die Inflation am aktuellen Rand nicht weiter gesunken ist. Dennoch dürften die Notenbanken in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften angesichts der anhaltenden Probleme im Finanzsektor und der weiterhin unterausgelasteten Kapazitäten die Ausrichtung ihrer Geldpolitik nicht ändern. Dämpfend auf die Konjunktur wirkt voraussichtlich die Finanzpolitik. Sie wird angesichts der in vielen Ländern hohen Staatsverschuldung restriktiv ausgerichtet bleiben.
Somit dürfte die Expansion in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften im Prognosezeitraum gedämpft bleiben. In den Ländern, die ihre Staatshaushalte konsolidieren, ist vorerst noch ein Rückgang der Wirtschaftsleistung zu erwarten. Lediglich die Belebung in den USA dürfte zunehmend auf andere Regionen ausstrahlen. In den Schwellenländern wird die Expansion voraussichtlich kräftig bleiben, aber etwas geringer ausfallen als bisher. Damit gehen von ihnen wohl geringere Impulse für die internationale Konjunktur aus.
Alles in allem dürfte die weltwirtschaftliche Produktion (in Kaufkraftparitäten gerechnet) 2012 um 3,3% zunehmen nach 3,8% im Jahr 2011. Für 2013 ist eine weitere Belebung zu erwarten, da die restriktiven Impulse seitens der Finanzpolitik voraussichtlich geringer werden. Der Zuwachs der weltwirtschaftlichen Produktion wird mit voraussichtlich 3,7% aber noch unter dem langjährigen Durchschnitt liegen.
Risiken für die Konjunktur bleiben trotz günstigerer Perspektiven groß
Etwas günstigere Perspektiven für die Weltwirtschaft und eine leichte Entspannung an den Finanzmärkten haben das RWI bewogen, seine Prognose für 2012 gegenüber der vom Dezember 2011 anzuheben. Die Risiken für die Konjunktur bleiben aber groß: Die Lage an den Finanzmärkten ist labil. Zudem hat die expansive Geldpolitik die Inflationsgefahren zunehmen lassen. Besonders riskant erscheint in diesem Zusammenhang, dass einzelnen Notenbanken erlaubt wurde, individuell die Sicherheiten festzulegen, die ihre Banken im Rahmen der Refinanzierung hinterlegen müssen. Damit wurde das Grundprinzip einer einheitlichen Geldpolitik in einer Währungsunion verletzt.
Risiken resultieren weiterhin aus der Staatsschuldenkrise im Euro-Raum. Die Bemühungen um eine Lösung konzentrieren sich auf zwei Handlungsfelder: Zum einen sollen die Rahmenbedingungen für solide Staatsfinanzen verbessert, zum anderen die Reaktionsmöglichkeiten auf akute Refinanzierungsprobleme von Staaten erhöht werden. Durch die Verabschiedung härterer Regeln bei übermäßigem Defizit, die Verankerung von Schuldenbremsen in den Verfassungen und die Gründung des ESM wurden hier Fortschritte erzielt. Fraglich ist, ob diese ausreichen und die neuen Regeln tatsächlich eingehalten werden. Die aufgelaufenen Staatsschulden sind hoch, und deren Refinanzierung ist auch nach Umsetzung der Reformen nicht gesichert. Einen geordneten Abbau der Schulden könnte ein Schuldentilgungsfonds ermöglichen, wie ihn der Sachverständigenrat vorgeschlagen hat.