Mehr als ein Jahr nach dem verheerenden Brand am 14. Juni 2017 im Londoner Grenfell Tower, bei dem 72 Menschen ums Leben kamen, zeigen vorläufige Ergebnisse der Untersuchung in Bezug auf das Brandverhalten der verwendeten Wärmedämmung und der Fassadenverkleidung ein differenziertes Bild. Ausschlaggebend für die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Feuers war demnach nicht die Dämmung aus Polyisocyanurat. Vielmehr habe die Wetterschutzverkleidung aus Aluminium und Polyethylen (PE) in Verbindung mit ihrer Hinterlüftung entscheidend zur schnellen Ausbreitung des Feuers und zur Entstehung weiterer Brände in dem Gebäude beigetragen. Zudem habe der Grenfell Tower erhebliche Brandschutzmängel aufgewiesen, welche das Inferno zusätzlich begünstigten. Kurz nach dem Brand war in Deutschland die Sicherheit von Gebäuden, welche mit Polystyrol gedämmt wurden, in Frage gestellt worden.
Die britische Untersuchungskommission, welche weiterhin Ursache und Hergang des Brandes in London analysiert, wertete bislang mehrere Hunderttausend Dokumente aus. Sie hörte Experten und Feuerwehrleute und sichtete Bild- und Videomaterial. Der deutsche Brandschutzexperte Prof. Dr.-Ing. Michael Reick hat ihre vorläufigen Ergebnisse in einem Bericht zusammengefasst, den die „Deutsche Feuerwehrzeitung“ in ihrer jüngsten Ausgabe veröffentlichte.
Das Deutsche Energieberater-Netzwerk DEN e.V. nimmt diese vorläufigen Ergebnisse der Untersuchungskommission mit Interesse zur Kenntnis. Bereits kurz nach dem verheerenden Brand hatte der DEN-Vorstand das Gespräch gesucht mit dem Direktor der Branddirektion in Frankfurt / Main, Prof. Reinhard Ries, der sich in Interviews kritisch zur bisherigen Verwendung von Polystyrol im Gebäudebau – vorallem bei Fassadendämmungen – geäußert hatte. „Dabei wurde klar: Wärmedämmung und Brandschutz schließen sich nicht aus. Aktionismus nach solchen Großbränden ist falsch. Die vorläufigen Ergebnisse der Untersuchungskommission geben dieser damaligen gemeinsamen Einschätzung nun Recht“, resümiert der DEN-Vorsitzende, Dipl.-Ing Hermann Dannecker.
Sein Kollege im Amt des DEN-Vorsitzenden, Dipl.-Ing. Hinderk Hillebrands, erklärt:„Man hatte nach dem Großbrand sofort den Eindruck, dass alles auf die Fassade geschoben wurde, die Brandlasten und vor allem der Brandauslöser – in London war es ein defekter Kühlschrank - aber in den Hintergrund rückten. Das wollten wir im Dialog mit Feuerwehrexperten richtigstellen.“ Bei dem Gespräch habe sich gezeigt, dass es nicht sinnvoll ist, nur noch nicht brennbare Materialien im Gebäudebau zu verwenden. Prof. Ries habe unterstrichen, dass es vielmehr um einen sinnvollen Brandschutz am und im Gebäude gehe und dabei besonders die Geschwindigkeit des Abbrennens ausschlaggebend sei. Auch für die Feuerwehren seien energetische Maßnahmen am und im Gebäude aus Gründen des Klimaschutzes wichtig. Man könne schon jetzt die Auswirkungen der Klimaveränderungen spüren.
Prof. Ries begrüßte damals grundsätzlich den Einsatz von nicht brennbarenMaterialien im Erdgeschoss sowie von Brandriegeln zwischen jedem Geschoss für alle Objekte, die nicht als Hochhäuser gelten. Darunter fallen Gebäude mit einer Höhe von 7 bis 22 m. Untersuchungen hätten gezeigt, dass sich darüber hinaus auch bei Bestandsgebäuden Nachbesserungen empfehlen, etwa ein Kantenschutz bei Fassadendämmungen. Bei Gebäuden über 22 m Höhe, die als Hochhäuser gelten, seien in Deutschland nicht brennbare Materialien für Wärmedämmungen bereits vorgeschrieben.
Hillebrands weist erneut auf die Gefahr hin, dass durch die Novellierungen von Landesbauordnungen aufgrund mehrerer Brandfälle besonders nachwachsende Rohstoffe wie Holz und Zellulose möglicherweise nicht mehr für Gebäude mit Höhen von 7 bis 22 m verwendet werden dürfen. Bei einem solchen Verbot werde eine erwünschte bauliche Verdichtung durch Erstellung von Staffelgeschossen im Bestand aber verhindert. Durch den Einsatz von nachwachsenden Materialien wie Holz oder Zellulose werde Gewicht gespart. Nur so sei oftmals eine Ausstockung im Bestand möglich. Ein grundsätzliches Verbot von normal entflammbaren Baustoffen wie Holzfasern im Gebäudebau würde sich aber auch insgesamt negativ auf die Betrachtungen von Lebenszyklen im Bau auswirken.
An dem Gespräch mit der Frankfurter Branddirektion hatte auch der DEN Landessprecher Rheinland-Pfalz und Brandmeister Dipl.-Ing. Dietmar Rieth teilgenommen. Er betont vor dem Hintergrund der aktuellen Untersuchungs-Ergebnisse zum Großbrand des Grenfell-Towers, dass bei Bränden gerade die Brandlasten in den Wohnungen ausschlaggebend seien. So seien neben dem brennbaren Mobiliar insbesondere zunehmend schadhafte Elektrogeräte die eigentlichen Ursachen und Brandauslöser. In jüngster Zeit häuften sich durch die Internetbestellungen von billigen elektrischen Endgeräten die Brandgefahren dadurch, dass nicht korrekt zertifizierte Importwaren aus Asien die europäischen Brandschutzvorschriften unterlaufen und im Fehlerfall leicht Brände verursachen können. Rieth kritisierte, dass es in dieser Hinsicht zu wenige behördliche Kontrollen „vor Ort“ gebe. Die Bundesnetzagentur, als zuständige Prüfbehörde für elektrische Endgeräte in Deutschland, habe diesen Weg „vom Internet zum Endkunden“ bisher nicht im Visier. Es fehle am notwendigen Vollzug; der vorbeugende Brandschutz ende in der Regel vor der Wohnungstür, so der Ingenieur und ehemalige Feuerwehrmann.
Die DEN-Ingenieure und der Vertreter der Frankfurter Feuerwehr stimmten darin überein, dass gerade mit Blick auf einen vorbeugenden Brandschutz bei energetischen Sanierungen eine qualifizierte Baubegleitung unabdingbar sei. Nur so seien die Vorteile durch energiesparende Maßnahmen mit ausreichender Sicherheit im Brandfalle zu gewährleisten. Eine solche Baubegleitung kann durch Fördermittelder KfW mit 50 % oder maximal 4000 Euro gefördert werden.
„Unsere damaligen gemeinsamen Einschätzungen und Mahnungen im Zusammenhang mit dem Brand des Grenfell-Towers erweisen sich jetzt als zutreffend“, sagen die beiden DEN-Vorstände Dannecker und Hillebrands. „Gründlichkeit geht auch hier vor Schnelligkeit. Es ist wichtig, immer wieder unsere Erkenntnisse und die am Bau verwendeten Materialien mit Blick auf Brandschutz und Brandsicherheit zu überprüfen. Es schadet dieser Sache aber, wenn ohne eingehende Untersuchung voreilige Schlüsse gezogen und Baustoffe verteufelt werden. Das schien hier vielfach der Fall zu sein beim Dämmstoff Polystyrol.“
Lesen Sie auch unseren GEB-Beitrag (Heft 07-2017) zu den Spekulationen um die Brandursache beim Grenfell Tower